21.05.2019

Wohnen

Chinesische Neustädte III – Chinesisch-Deutscher Ökopark

Fussballschule des FC Bayern München


DREI DEUTSCHE PLANSTÄDTE IN CHINA – EINE VORSCHAU

Im dritten Beitrag unserer fünfteiligen Serie zu Planstädten in China stellt Dieter Hassenpflug zunächst kurz die drei Projekte vor, die in der Folge Gegenstand seiner Betrachtungen hier im Baumeister-Blog sein werden. Unter der allgemeinen Fragestellung “Deutsche Planstädte in China – ein interkulturelles Missverständnis?” wendet er sich sodann der Analyse des Chinesisch-Deutschen Ökoparks in Qingdao zu. Es ist das erste der drei Neustadtprojekte, deren Entwürfe auf deutsche Architekten und Städtebauer zurückgehen.

Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick: Unter der Überschrift “Chinesische Neustädte I: Panjin Hafen Neustadt” bot der erste Beitrag  unserer fünfteiligen Serie einen westlichen Blick auf die Planstadt an der nördlichen Liaodong Bucht. An diesem Projekt des Tianzuo-Studios an der Jianzhu-Universität Shenyang und seines Chefs Lingling Zhang ließ sich demonstrieren, wie der zeitgenössische chinesische Städtebau sich einerseits alle aktuell global verfügbaren fachlichen Techniken, Materialien, Gestaltungsmöglichkeiten usw. aneignet, um diese jedoch andererseits in die Formen der reichen chinesischen Städtebau-Tradition zu gießen.

Wie bereits im Interview im Baumeister-Magazin Nr. 5, 2019 hervorgehoben, fällt das hohe Maß an “Reflexivität” im chinesischen Städtebau ins Auge, das heißt die überaus enge Verzahnung von Tradition und Moderne im Medium des Städtebaus. Mögen die Chinesen so modern gestalten und bauen, wie nur irgendwie möglich, so nehmen sie doch immer ihre Geschichte und ihre Traditionen mit in die Zukunft. So entstehen Städte mit ausgeprägter chinesischer Identität: Städte, die nichts anderes sind, als eine zeitgemäße Verräumlichung eines großen kulturellen Gedächtnisses.

Die zweite Veröffentlichung der Artikelserie bestätigte diese Reflexivität auf eindrucksvolle Weise. Geschrieben wurde sie von Lingling Zhang, dem Masterplaner der Neustadt an der Liaodong-Bucht und zugleich auch der Entwerfer von über 80 öffentlichen Gebäuden dieser Hafenstadt. Hauptthema seines Manifests war die Beantwortung der Frage, wie sich der Entwurf einer chinesischen Planstadt im Ganzen und in ihren Teilen in den – natürlichen und kulturellen – lokalen, regionalen und nationalen Kontext integrieren lässt.

So weit der kurze Rückblick. Unter dem Titel “Deutsche Planstädte in China – ein interkulturelles Missverständnis?” wendet sich unser Autor Dieter Hassenpflug nun drei weiteren Projekten zu, deren Masterpläne auf Entwürfe deutscher Architekten und Städtebauer zurückgehen: der Chinesisch-Deutsche Ökopark in Qingdao von GMP, Anting-Neustadt von AS+P im Westen Shanghais und Lingang von GMP im Südosten Shanghais.. Zwar wurden diese Planstädte von deutschen Architekten entworfen, unter deutscher Beteiligung geplant und zum Teil auch gebaut, andererseits unterscheiden sie sich konzeptionell, gestalterisch und auch hinsichtlich der vorgesehenen Zahl der Einwohner stark voneinander.

Alle drei Neustadtplanungen aus deutscher Feder stehen allerdings in der Gefahr, sich mittelfristig zumindest partiell als Fehlplanungen zu erweisen. Der intellektuelle Reiz hingegen, sich gerade mit solchen „bedrohten“ Projekten aus städtebautheoretischer Sicht zu befassen, liegt darin, dass man dabei sehr viel über Unterschiede im chinesischen und deutschen Städtebau lernen kann. Denn in diesen deutsch-chinesischen Neustädten verräumlichen sich soziokulturelle Tatbestände auf eine Weise, die die zum Teil extremen Differenzen zwischen der deutschen und chinesischen Gesellschaft – und damit auch zwischen ihren Städten – ebenso deutlich wie konflikthaft hervortreten lassen.

Eine nachhaltige Planstadt für Qingdao

Das erste der in den drei folgenden Beiträgen evaluierten Städtebauprojekte mit deutschen Wurzeln wurde mit hohen Ansprüchen an eine nachhaltige Stadt und zudem mit höchster politischer Anteilnahme im Jahr 2010 auf den Weg gebracht. Es handelt sich um das Neustadtprojekt “Chinesisch-Deutscher Ökopark” (“Sino-German Eco Park”) von GMP in Qingdao. Der Grundstein wurde Ende 2011 gelegt.

Während seither südwestlich der Jiaozhou Wan (Bucht) rund um das futuristisch anmutende Verwaltungs- und Organisationszentrum (auch “Technologiezentrum”) neue Stadtquartiere aus dem Boden gestampft werden, bröckelt auf der nordöstlichen Seite der Bucht jene deutsche Stadt vor sich hin, die für die Standortwahl der “Sino-German Eco City” mit entscheidend war. Gemeint ist die einstige deutsche und japanische Kolonialstadt Tsingtau, die mit den Jahren entweder durch Verfall oder durch chinesische Überformung zu verschwinden droht. Zwar gibt es einzelne Gebäude, die restauriert, saniert und auf die eine oder andere Art genutzt werden, doch für die Kolonialstadt als Ganze, für die europäische Integrität der räumlichen Textur, scheint – immer noch – jede Perspektive zu fehlen.

Jenseits der Bucht hingegen arbeitet man daran, ein für den chinesischen Städtebau beispielgebendes Modell für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu realisieren. Die Analyse des Projekts offenbart jedoch, dass Anspruch und Wirklichkeit dieser Planstadt wohl nur mühsam in Übereinstimmung gebracht werden können. Einen Grund dafür könnte der Masterplan liefern, der mit seiner dispersen Anordnung von Quartieren die Herausbildung eines lokalen Stadtzentrums behindert – und damit auch die Schaffung einer nachhaltigen kompakten “Stadt der kurzen Wege” chinesischen Typs. Doch bevor wir uns diesem Projekt zuwenden zunächst noch ein Blick auf zwei weitere deutsche Projekte in China.

Eine deutsche Stadt in Shanghai

Zum zweiten Projekt: Etwa fünfzehn Jahre sind vergangen, seit ich Anting Neustadt erstmals besuchte. Die auf eine Einwohnerzahl von etwa 60 tausend Einwohner ausgelegte Planstadt befand sich damals im Bau. Beim Gang über die Baustelle wunderte ich mich über die aus Betonplatten zusammengefügten Satteldächer und bewunderte die für damalige chinesische Verhältnisse ambitionierte Klimatechnik. Keineswegs jedoch ahnte ich zu jener Zeit, welch tiefgreifenden Auswirkungen die wissenschaftliche Erkundung dieser Stadt auf meine Kenntnisse vom Städtebau in China noch haben würde.

Vor gut zehn Jahren, in 2007, hatte ich ein zweites Mal Gelegenheit, der “deutschen Stadt” einen Besuch abzustatten. Der erste Bauabschnitt war, mit Ausnahme des Stadtzentrums, fertiggestellt und die räumlichen Charakteristika traten klar zutage. Die Untersuchung Antings lieferte allerdings eine überaus pessimistische Prognose für die Zukunft der Neustadt. Publiziert wurden die Forschungsresultate erstmals in dem 2009 in der Reihe “Bauwelt Fundamente” des Birkhäuser Verlags erschienenen Buch “Der urbane Code Chinas”. Gestützt auf stadtsemiotische Methoden der Entschlüsselung des Raums wurde ausführlich hergeleitet, weshalb kaum zu verhindern sein wird, dass Anting Neustadt das Schicksal einer Geisterstadt droht. Der Baustopp, der erfolgte, nachdem etwa die Hälfte des verplanten Territoriums überbaut war, schien das pessimistische Urteil vorerst zu stützen.

Nochmals zehn Jahre später, im Oktober 2017, gelang es mir, Anting Neustadt abermals aufzusuchen. Ich wollte wissen, was nach der Aufhebung des seinerzeit verhängten Moratoriums geschah, wie es also mit der “deutschen Stadt” weitergegangen ist. Welche Konsequenzen wurden gezogen? Hatte die verbesserte Anbindung an das Zentrum von Shanghai nachvollziehbar positive Auswirkungen? Konnten durch den Weiterbau der Stadt und durch den Bau zahlreicher Nachbarschaften in unmittelbarer Nähe zur Neustadt Impulse für die Besiedlung leerstehender Wohnungen ausgelöst werden? Hatte die Bereitstellung von sozialer Infrastruktur, von Kindergärten oder Schulen den erhofften Einfluss auf die Wohnungsnachfrage? Konnte die Zeit, die ja angeblich städtebauliche Wunden zu heilen vermag, auch im Falle Antings ihre Wirkung entfalten? Wir werden sehen.

Idealstadt Lingang in Shanghai

Zum dritten und letzten Projekt unserer Reihe: Die Planstadt Lingang wurde von GMP für circa 800 tausend Einwohner im Stile einer radialkonzentrischen Idealstadt der Renaissance entworfen. Dabei bilden allerdings nicht Markt oder Schloss das Zentrum, sondern ein kreisrunder See mit einer Uferlänge von stattlichen 9 Kilometer. Dieser wiederum wird von einer ringförmigen Innenstadt umzogen. Ein wenig erinnert dieser Entwurf auch an die berühmte Zeichnung einer radialkonzentrischen Gartenstadt mit parkartigem Zentrum von Ebenezer Howard. Lingang, so die Intention der lokalen Akteure aus Planung und Politik, soll das Zentrum einer neuen Sonderwirtschaftszone werden.

In 2006 hatte ich erstmals Gelegenheit, in Begleitung des damaligen Dekans des ‘Centre for Architecture and Urban Planning’ (CAUP), Prof. Dr. Zhiqiang Wu, das im Shanghaier Bezirk Nanhui (heute Teil von Pudong) lokalisierte Projekt in Augenschein zu nehmen. Die Übertragung eines kleinmaßstäblichen Bildes auf den städtebaulichen Maßstab einer Millionenstadt könne Probleme mit sich bringen, räsonierte Wu damals unter Verweis auf ein metaphorisches Bild, das für das Marketing des Masterplans extensiv – und offenbar erfolgreich – genutzt wurde. Es zeigt einen fallenden Tropfen, der auf eine flüssige Oberfläche (Wasser) trifft und konzentrische Wellen erzeugt. Auf diese Weise entsteht jene streng geometrische, radialkonzentrische Form, die den Entwurf von Lingang vorgeblich inspirierte.

Die Rezeption städtischen Raums unterscheidet sich gewiss fundamental von derjenigen eines vergleichsweise winzigen mesokosmischen Ereignisses. Es wird sich jedoch zeigen, dass weniger das Zoomen eines fallenden Wassertropfens ein Problem birgt, sondern vielmehr die soziokulturell bedingte Unvereinbarkeit von europäischer und chinesischer (Ideal)Stadt.

Die Bauarbeiten hatten damals gerade begonnen und auch ein Jahr später, als ich Lingang Neustadt erneut aufsuchte, waren die Arbeiten noch nicht hinreichend fortgeschritten, um eine Analyse und Bewertung für den oben genannten Band zu rechtfertigen. Nun jedoch, im ausgehenden Jahr 2017, bot der Baufortschritt genug Material für eine erste Bewertung. Lingang, so lässt bereits eine Analyse des Masterplans vermuten – und diese Analyse wird durch die Begehung vor Ort bestätigt – muss, um dem drohenden Schicksal einer desintegrierten Stadt zu entgehen, die europäische, radialkonzentrische Geometrie der Grundstruktur radikal kompromittieren – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Integrität des Stadtbildes.

DER CHINESISCH-DEUTSCHE ÖKOPARK IN QINGDAO

Die Stadt Qingdao wurde 1897 als koloniale Mustersiedlung des deutschen Kaiserreichs gegründet und in der vergleichsweisen kurzen Zeit bis zum ersten Weltkrieg zu einer ansehnlichen Hafenstadt ausgebaut. Noch heute lassen sich zahlreiche Hinterlassenschaften dieser Anfänge im Zentrum der auf etwa 9,5 Millionen Bewohner angewachsenen Metropole an der Ostküste Shandongs besichtigen.

Wenig überraschend daher, dass Qingdao immer wieder besonderes Interesse bei den Deutschen weckt. Das gilt für den Städtetourismus, für vielfältige Handels- und Geschäftsbeziehungen, für bilaterale Initiativen auf den Gebieten der Bildung und Kultur – aber auch auf denjenigen des Städtebaus und der Stadtentwicklung. So wurde in Gestalt einer hochrangigen Kooperationsvereinbarung zwischen Deutschland und China der Chinesisch-Deutsche Ökopark (“Sino-German Eco Park”) in Qingdao auf den Weg gebracht. Den Gründungsdokumenten zufolge wird erwartet, dass das Projekt sich zu einem Vorbild nachhaltiger Stadtentwicklung mit chinaweiter Ausstrahlung entwickelt. Diesen ambitionierten Vorstellungen entsprechend gaben die Regierungsspitzen beider beteiligten Staaten sich die Ehre bei der Einweihung im Juli 2010: auf Seiten Chinas Premier Wen Jiabao und auf deutscher Seite Kanzlerin Angela Merkel. Bereits wenige Monate zuvor hatte der in China hoch geachtete Kanzler a.D. Gerhard Schröder sozusagen als Botschafter der erwähnten Kooperationsvereinbarung an der Eröffnung eines ‘Forums für erneuerbare Energien’ in Qingdao mitgewirkt.

Beim Chinesisch-Deutschen Ökopark handelt es sich um einen Industrie- beziehungsweise Gewerbepark – allerdings um einen Industriepark der besonderen Art. Um diesen herum wird nämlich eine in funktionaler Hinsicht nahezu komplette Stadt gebaut. In ihr sollen zukünftig auf knapp 12 Quadratkilometer etwa 80 Tausend Menschen leben, die nach Möglichkeit in den Betrieben des Industrieparks arbeiten sollen. Beabsichtigt ist, circa 45 Prozent der Fläche für Gewerbe und öffentliche Infrastruktur zu entwickeln, circa 25 Prozent für Wohnen und Einzelhandel und etwa 30 Prozent als Grün- und Naherholungsraum. Angestrebt wird nicht weniger als eine intelligente, nachhaltige Musterstadt, eine Art von Industriestadt 4.0. Betrieben und vermarktet werden die Flächen von einem chinesischen Staatsunternehmen, der Sino-German United Group Co., Ltd. mit Sitz in Qingdao.

Verwirklicht wird der Industriepark südlich der Jiaozhou Bucht und des Kreuzungsbereichs zweier stark frequentierter Straßen von überregionaler Bedeutung. In Nord-Süd-Richtung verläuft die G22, die mittels einer großen Brücke über die Jiaozhou Bucht das Stadtzentrum mit der südlichen Peripherie verbindet und in Ost-West-Richtung die S7601, eine der wichtigsten Erschließungsstraßen für den nahe der Planstadt gelegenen Großhafen. Darüber hinaus liegt der Chinesisch-Deutsche Ökopark im nördlichen Teil der nationalen chinesischen Sonderwirtschaftszone von Qingdao.²

Der Masterplan für diese Modell-Industriestadt des 21. Jahrhunderts stammt abermals von dem in China sehr erfolgreichen Studio GMP. Wie schon im Falle von Lingang Neustadt greift auch dieser Entwurf auf eine bildliche Metapher zurück, um die Fantasie der mit dem Plan befassten Entscheider zu beflügeln – mit offensichtlichem Erfolg. Es handele sich, so die Autoren, bei den nierenförmigen Quartieren um eine Ansammlung von 8 “Kieselsteinen”, die, eingebettet in pittoreskes Grün, die Formen der Berge und der Landschaft Qingdaos reflektieren. Mit Blick auf das Stadtmodell und ohne Kenntnis des Narrativs, das die Schöpfer des Entwurfs diesem zugrunde legen, vermuten Betrachter des in einem Ausstellungsgebäude präsentierten Stadtmodells auch schon mal, es könne sich um Lotusblätter handeln, die auf der Wasseroberfläche eines Sees schwimmen. Wie dem auch sei – auch hier ein ansprechender Entwurf. Doch wie tragfähig ist er, wenn er auf die Wirklichkeit trifft?

Gully-Deckel im Chinesisch-Deutschen Ökopark

Das fehlende Zentrum

Nach dem Willen von Politikern, Planern und lokalen Dienstleistern soll der Chinesisch-Deutsche Ökopark vier zukunftsweisende und für die chinesisch-deutsche Kooperation besonders vielversprechende Produktionssparten ansiedeln. Erstens Gen- und Medizintechnik, zweitens Passivgebäude-Technologie, drittens intelligente Produktionstechnik der vierten Generation und viertens nachhaltige Energiegewinnung. Da die Ambitionen des urbanistischen Projekts die gewerblichen Zielsetzungen übersteigen, sollen zudem vier Plattformen für den interkulturellen Austausch zwischen China und Deutschland etabliert werden. Diese betreffen, erstens, den Städtebau, zweitens Produktion und Technik, drittens Bildung, Kultur und Sport und, viertens, Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Die kommerziellen Aktivitäten auf dem Gebiet des chinesisch-deutschen Austausches sind im Deutschen Handelshaus (“German Enterprise Centre”) gebündelt, einem Dienstleistungs- und Bürokomplex, der 2016 eröffnete und die Arbeit aufnahm. Inzwischen sollen sich knapp 20 deutsche Firmen dort mit Verbindungsbüros oder Auslandsniederlassungen einquartiert haben. Ein Projekt, das in seiner optischen Präsenz herausragt, ist die Fußballschule des FC Bayern München mit ihren Schulungsgebäuden und Trainingsplätzen. Von deutscher Seite findet man unter Anderem auch eine Filiale des Drogeriemarktes Rossmann.

Die Planer und Entwickler des Ökoparks sind in einem ebenfalls 2016 eröffneten Bürogebäude untergebracht. Das von der deutsch-italienischen Architektengemeinschaft Ludwig Rongen, Michael Tribus und Gernot Valentin entworfene Passivhaus Technologiezentrum gilt als Leuchtturmprojekt nachhaltiger Großarchitektur und soll nach dem Willen der chinesischen und deutschen Projektentwickler nicht nur die Baukonstruktion auf dem Gelände des Ökoparks inspirieren, sondern darüber hinaus Maßstäbe für das nachhaltige Bauen in ganz China setzen. Der anspruchsvollen Zielsetzung entsprechend hatten im Jahr 2014 der Nachfolger Wen’s als Premier, Li Keqiang, und abermals Angela Merkel den Vertrag für die Errichtung dieses von der Darmstädter DGNB e.V. zertifizierten Gebäudes unterzeichnet.

Betrachtet man den städtebaulichen Entwurf des Ökoparks von GMP unter dem Gesichtspunkt seines Potentials für eine nachhaltige Stadtentwicklung, dann tauchen Zweifel auf. Wir wissen, dass eine nachhaltige Stadt fünf fundamentale räumliche Ansprüche erfüllen muss: sie muss, erstens, ein starkes, artikuliertes Zentrum haben; sie muss, zweitens, kompakt sein, also eine gewisse Dichte aufweisen; sie muss, drittens, funktional vielfältig sein; sie muss ferner (viertens) gut durchgrünt sein und, abhängig von der Größe, auch Grünkorridore aufweisen. Schließlich muss sie, fünftens, verkehrstechnisch gut vernetzt sein, also beispielsweise ein ausgewogenes Verhältnis von konzentrischen und radialen Verkehrsräumen aufweisen und eine vielfältige Verkehrsinfrastruktur anbieten.

Fangen wir mit dem Zentrum an. Hier ist sogleich festzustellen, dass es keines gibt, weder ein punktuelles noch ein lineares. Die Funktionen, die typischerweise ein Zentrum ausmachen, also das räumliche Zusammenwirken von wirtschaftlichen, administrativen und geistigen Funktionen in Verbindung mit dem Wohnen, sind hier auf acht verschiedene Bezirke verteilt. Mit Ausnahme von drei weitgehend ‘reinen’ (monofunktionalen) Gewerbebezirken im Westen des Ökoparks, finden wir in den übrigen Bezirken städtische Funktionen in unterschiedlicher Zahl – bis zu reinen Wohnquartieren – und in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen. Dies beweist zunächst, dass von den Schöpfern des Plans an Funktionsvielfalt und -mischung gedacht wurde.

Indem sie jedoch auf das ökologische Potential urbaner Zentralität verzichten, vermögen sie dem Imperativ der Funktionsvielfalt und -mischung keine wirksame, eine “Stadt der kurzen Wege” garantierende Raumfigur zu geben. Die Kraft nachhaltiger Zentralität wird vielmehr über viele Quadratkilometer verstreut und auf diese Weise depotenziert. Die Nachteile räumlicher Zonierung lassen sich so nicht überwinden. Sollen funktionale Vielfalt und Mischung zur Nachhaltigkeit einer Stadt beitragen, dann ist urbane Zentralität ebenso unverzichtbar wie Kompaktheit oder Dichte.

Nun ließe sich einwenden, dass die einzelnen Stadtbezirke jeweils für sich eine hohe Dichte aufweisen; denn immerhin wird vertikaler Wohnungsbau mit den üblichen, sehr hohen Geschossflächenzahlen (3, 4 und höher) betrieben und auch die kommerziellen und administrativen Strukturen sind, bezogen auf die einzelnen Bezirke, durchaus kompakt kontextualisiert. Doch auch hier gilt: die einzelnen Bezirke können so kompakt sein, wie irgend möglich – ein kompakter Ökopark entsteht dadurch nicht. Abermals fehlt das Zentrum, das der dispersen Verdichtung Wirksamkeit im Sinne nachhaltiger Stadtentwicklung geben könnte.

Hinzu kommt, dass die einzelnen Bezirke jeweils zu klein und daher außerstande sind, alle für eine “Stadt der kurzen Wege” erforderlichen Funktionen aufzunehmen. Ein Bezirk mit einem oder mehreren Compounds und einem Universitätscampus³ begründet noch keinen kompakten Stadtraum. Denn um einkaufen oder arbeiten zu gehen, muss man vermutlich einen anderen Bezirk aufsuchen. Diese Bezirke sind jedoch kaum fußläufig zu erreichen. Dazu liegen sie zu weit auseinander. Andererseits lassen sich die Bezirke mit den traditionellen chinesischen Danwei (den “Produktionsgenossenschaften”) aus der Zeit Mao Zedongs vergleichen. Das macht sie in chinesischen Augen auf den ersten Blick attraktiv. Beim zweiten Blick wird jedoch klar, dass das städtische Funktionsangebot unvollständig ist, die Bezirke also nicht halten können, was sie vordergründig versprechen.

Vernetzung der Quartiere

Einer der ersten Bezirke, der nahezu abschließend bebaut wurde, beherbergt die neuen Unterkünfte der Einwohner von fünfzehn Dörfern, die der Entwicklung des Industrieparks zum Opfer gefallen sind. Entstanden ist eine hoch verdichtete Nachbarschaft aus unansehnlichen Wohnhochhäusern, die sich hinsichtlich der Qualität und Bautechnik in nichts von den unzähligen anderen Wohngroßsiedlungen unterscheiden, die überall in China aus dem Boden sprießen. Hier haben wirtschaftliche Erwägungen die notwendige Vorbildfunktion für den nachhaltigen (sozialen) Wohnungsbau offenbar überlagert. Das sieht nicht nach einem Beitrag zur Glaubwürdigkeit und Integrität des Ökopark-Projekts aus.

Die fehlende Zentralität beeinträchtigt nicht nur die räumliche Organisation städtischer Funktionen und Dichte, sondern auch die räumliche Erschließung. Die disperse Organisation der Bezirke und Quartiere erzwingt Mobilität, die bei einer konzentrischen Stadtstruktur nicht erforderlich wäre. So setzt der Plan auf ein lineares öffentliches Verkehrssystem (S-Bahn, U-Bahn) mit insgesamt drei Stationen im Bereich des Ökoparks. Dieses lineare System erschließt jedoch kein homogenes lineares Zentrum, das es nicht gibt, sondern jeweils zwei bis drei Stadtbezirke. Die südlich gelegenen Bezirke sind noch nicht direkt angebunden. Hält man sich vor Augen, dass für eine punktuell oder moderat linear zentrierte, kompakte Form der Planstadt ein zentraler Haltepunkt oder zwei Haltepunkte auf einer Zentralachse ausreichen würden, ist die vorgeschlagene eine sehr ineffektive Lösung. Übrigens nicht primär wegen der drei Haltepunkte, sondern vor allem wegen der zu erwartenden niedrigen Frequenz an ÖPNV-Kunden auf dem Gebiet der Planstadt.

Und wie steht es mit der Verkehrsdifferenzierung? Die Haupterschließungsstraßen sind vier- und zweistreifig. Radwege scheint man vergessen zu haben. Immerhin gibt es jedoch breite Bürgersteige, jedoch ohne Absenkungen der Bordsteine an den Kreuzungen. Das Profil der Straßen folgt insgesamt eher dem landestypischen, am Leitbild des erhabenen Raums orientierten Design. Klar scheint somit auch, dass die Nutzung des Kraftfahrzeugs im Vordergrund steht. Es ist anzunehmen, dass die Neustadt mit einer leistungsfähigen Infrastruktur für Elektromobilität ausgestattet wird. Auf diese Weise würde zumindest lokal den Anforderungen an eine gute Luftqualität Genüge getan.

Üppiger Grünraum

Aber da ist ja auch noch der Grünraum. Mit 30 Prozent der Gesamtfläche ist die Planstadt wirklich gut bedient, zumal auf diese Weise auch eine Relation von gut 30 Quadratmetern Grünraum pro Kopf der zukünftigen Bewohner erreicht wird. Doch so, wie der Stadtraum formiert wurde, wirken die üppigen Grünzüge eher wie Barrieren. Sie separieren die Bezirke voneinander und verwandeln diese in „Dörfer“. In peripherisierte Strukturen, die in Ermangelung von Zentrum, Dichte, Nähe und lokaler Vielfalt zur erfolgreichen Gestaltung des Alltagslebens ihrer Bewohner sehr viel Bewegung im Raum erfordern. Einerseits ist alles vorhanden, andererseits liegt das Vorhandene in einer Weise verstreut, wie es die hochgesteckten Erwartungen an eine nachhaltige Stadt konterkariert. Wieder einmal ist es ein einziges, unverzichtbares Element, das die gesteckten Ziele schwer angreift – der Verzicht auf urbane Zentralität in welcher Form auch immer.

Es gibt jedoch noch einen formalen Aspekt, der den Wert des Grünraums für den Ökopark mindert. Bei den Grünzonen, die die Bezirke voneinander trennen, handelt es sich um öffentliche Parks und nicht um das von chinesischen Stadtbewohnern bevorzugte exklusive Nachbarschafts- beziehungsweise Gemeinschaftsgrün, das in Gestalt von Nachbarschafts- oder Gemeinschaftshöfen den Compounds zugeordnet ist und für Zwecke der Begegnung und Naherholung durch deren Bewohner exklusiv genutzt wird. Öffentliche Parkanlagen haben in China nämlich keine große Tradition und rangieren dementsprechend in der Wertschätzung klar hinter den Nachbarschaftsparks innerhalb der Compounds. Aufgrund der großen Flächenanteile für das öffentliche Grün bleibt im Entwurf von GMP nurmehr wenig Raum für die Realisierung von Gemeinschaftsparks in den Compounds. Wie die Entwürfe belegen, wird deren Notwendigkeit zwar keineswegs vollständig ignoriert, doch treten sie in ihrer Bedeutung und somit auch in ihren Raumansprüchen weit hinter das öffentliche Grün zurück. So bleibt im Endeffekt, dass der üppige öffentliche Grünraum raumfunktionale Vorteile (Emissionsminderung, gesündere Luft, Klimatisierung etc.) mit sich bringt, voraussichtlich jedoch keine vergleichbare soziale und emotionale Wertschätzung.

Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass der Status der Wohnsiedlungen unklar ist. Sie sind nämlich nicht als Nachbarschaften durch Einhegungen mit Mauern, Zäunen, Hecken, Schlagbäumen und dergleichen definiert. Zwar gibt es Begrenzungsanlagen, doch betreffen diese nicht die Wohngebiete, sondern die Bezirke. Die Bezirke sind jedoch – von den drei Gewerbezonen abgesehen, mehrfunktional. Die Folge ist: Die Wohngebiete sind partiell Teil eines offenen Stadtraums (bezogen auf die mehrfunktionale Ausstattung der Quartiere) und partiell Teil eines geschlossenen Stadtraums (bezogen auf die Einhegung des gesamten Quartiers). Diese unscharfe Trennung von Stadtraum und Gemeinschaftsraum war seinerzeit Teil jenes Verhängnisses von “Holland Villa” in Shenyang, das 2009 zum Schleifen der kompletten Siedlung führte. Auf eine andere Weise werden wir dieser Unschärfe jedoch auch im Mit- und Gegeneinander von offener Stadt und miniaturisierten Toren in Anting Neustadt im vierten Beitrag dieser Reihe begegnen. Wie Anting enthält auch der Entwurf des Ökoparks von Qingdao noch zu viel Europa und zu wenig China. So ist auch in diesem Falle vorhersehbar, dass die mangelhafte Exklusivität der Wohnbereiche auf Vorbehalte bei potenziellen Stadtbewohnern treffen wird.

Städtebaulicher Kontext

Nun werden die Ambitionen einer nachhaltigen Stadt nicht nur von innen, aus dem gewählten räumlichen Konzept heraus bedroht, sondern auch vom städtebaulichen Kontext. Besonders hervorzuheben ist hier die Position südlich der oben genannten Straßen, die mit ihren Emissionen eben diese Lage angreifen. An den bisherigen Rahmenplänen irritiert, dass die weniger immisions- beziehungsweise lärmsensiblen Gewerbezonen nicht genutzt werden, um gegen diese Belastungen abzuschirmen. Auch diesbezüglich scheint die gewählte disperse Form den hoch gesteckten Zielen eher im Wege zu stehen.

Eine gewisse Unterstützung erhält unsere kritische, eher pessimistische Würdigung des Projekts übrigens durch die Performance der Aktie der Sino-German United AG, München, die dem Hauptaktionär, der Sino-German Eco Park Group Co., Ltd., bisher wenig Freude bereitet haben dürfte. Der Wert lag im Februar 2018, dem Zeitpunkt, da diese Zeilen geschrieben wurden, knapp unter dem Emissionspreis von 1,10 Euro. Aktuell, im Mai 2019, notiert die Aktie nur noch bei ca. 46 Cent (0,46 Euro).

Wie im Falle von Anting und Lingang Neustadt scheint auch der Erfolg des Chinesisch-Deutschen Ökoparks Qingdao durch den städtebaulichen Entwurf, der nicht nur für die räumliche Funktionalität, sondern auch für die soziokulturelle Akzeptanz von entscheidender Bedeutung ist, gefährdet. In allen drei Fällen steht die erfolgreiche Umsetzung der mit den Projekten verknüpften Ziele noch aus – und in den beiden ersten Fällen ist, wie noch zu zeigen sein wird, davon auszugehen, dass dies in mehr oder weniger großem Umfang auch so bleiben wird. Ein wenig anders sieht es im Falle des Chinesisch-Deutschen Ökoparks aus.

Denn bei allen teils fragwürdigen, teils problematischen Gemeinsamkeiten, die der deutsche Gestaltungshintergrund des Ökoparks mit sich bringt, scheint es mindestens zwei Punkte zu geben, in denen sich diese Planstadt von den beiden anderen unterscheidet: Zum einen fehlt bisher der massive Eindruck einer von perspektivlosen, nicht-spekulativen Leerständen geprägten Geisterstadt. Der zweite Grund betrifft Ausmaß und Intensität der fachlichen Begleitung, Supervision und Steuerung des städtebaulichen Unterfangens. Es scheint der feste Wille zu bestehen, reproduzierbare Impulse für eine nachhaltige Stadtentwicklung in China zu setzen und diesem Ziel entsprechend zu investieren, materiell und personell.

¹ Dieses Unternehmen ist die Muttergesellschaft der Sino-German Ecopark Handels- und Beratungs GmbH (SGE), die wiederum Hauptaktionärin der Sino-German United AG ist, beide mit Sitz in München.

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