16.11.2020

Öffentlich

Rekonstruktion von Burg Helfštýn in Tschechien

Foto: BoysPlayNice


Neue Aussichtspunkte in den alten Mauern

Das Büro atelier-r aus Olmütz verbindet in seinem architektonischen Konzept für die Burgruine Helfštýn in Tschechien denkmalgerechte Rekonstruktion mit zeitgenössischer Architektur. Die neu hinzugekommenen Elemente sind in dem historischen Gemäuer deutlich erkennbar und schaffen substanzschonend ein neues Besuchererlebnis

 

 

Sie war eine der größten Festungsanlagen Europas: die Burgruine Helfštýn in Tschechien bei Leipnik in der Region Ölmütz. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts thront das schon von Weitem sichtbare Bollwerk – das zweitgrößte nach der Prager Burg in der Tschechischen Republik – auf einem steilen Felsen im einstigen Gebiet der Herren von Drahotuš. Von hier aus wurde einst die sogenannte Mährische Pforte, die Wasserscheide zwischen Schwarzem Meer und Ostsee, kontrolliert. Die ehemals stolze Festung verfiel im Laufe der Jahrhunderte und entwickelte sich später zu einem beliebten Ausflugsziel.

Parallel zur Entwicklung der Denkmalpflege entstanden erste Initiativen zur Rettung der Bergruine im 19. Jahrhundert. Systematische Arbeiten begannen 1911, konservatorische Maßnahmen fanden dann in der ČSSR ab den 1970er-Jahren statt. Nach der politischen Wende diskutierten der Besitzer der Ruine, die Stadt Olmütz, gemeinsam mit Vertretern des nationalen Denkmalamts NPÚ intensiv über eine denkmalgerechte Rekonstruktion – und eine Überdachung der Burg.

 

 

Den Zuschlag dafür bekam schließlich das junge Büro atelier-r aus Olmütz. Miroslav Pospíšil und Martin Karlík rekonstruierten mit ihrem architektonischen Konzept nicht nur die bestehenden Strukturen, sondern verbesserten auch das Besuchererlebnis. „Uns war es wichtig, über den technischen Wiederaufbau-Auftrag hinauszugehen“, erklären die beiden Architekten. „Wir wollten das historische Gebäude mit einer zeitgenössischen Architektur ergänzen, die sich neben einer ästhetischen Ausstrahlung auf eine praktische Nutzung konzentriert.“ Mittels einer neuangelegten Treppe machten die zwei einen Aussichtspunkt im Turm der Anlage zugänglich. Jahrhundertelang unbenutzte Durchgänge öffneten sie, indem sie Ebenen durch zeitgenössische Elemente miteinander verbanden. Die neue Besichtigungsroute führt nun zu Orten, die für Jahrhunderte unzugänglich waren. Dabei erfolgten die minimalistischen Einbauten substanzschonend. „Unser Konzept basiert auf dem Respekt vor dem historischen Gemäuer und soll den authentischen Charakter der Burg erhalten,“ erläutern Miroslav Pospíšil und Martin Karlík weiter. Dass in die markante Kontur der Ruine laut Vorgabe des nationalen Denkmalamts nicht eingriffen werden sollte, war eine Herausforderung: Denn das neue Dach durfte nach außen hin nicht sichtbar sein.

 

Fotos: BoysPlayNice

Auf Stahlstegen durch das Bollwerk

 

Bei den Treppen, Rampen und Stegen, die den neuen Besucher-Parkour bilden, entschied sich atelier-r für Cortenstahl als Material. Seine Textur zelebriert die historischen Mauern und simuliert genau die Patina, die man in dem alten Gemäuer erwartet. Die Einbauten wirken wie eigenständige Kunstwerke mit skulpturalem Charakter. Auch die Wege aus polierten Betonplatten im Erdgeschoss und ein Teil der Mauern sind durch Profile aus Cortenstahl definiert. Doch nicht nur aus Gründen der Ästhetik fiel hier die Wahl auf das tragfeste und nachhaltige Material: Jedes Jahr findet auf Helfštýn das Kunstschmiede- und Bildhauersymposium „Hefaiston“ statt; es zählt zu den größten Zusammenkünften von Schmieden aus ganz Europa.

Die Dacheindeckung, gesandetes Flachglas auf Stahlträgern, fügten Miroslav Pospíšil und Martin Karlík zwischen die Mauern der Ruine ein. „Der weite, offene Himmel war die wichtigste Inspiration“, erzählen die beiden Architekten. „Wir haben allerdings nur fünf ausgewählte Kammern mit einem Dach versehen. Die übrigen haben keines, um die Atmosphäre der Ruine zu verstärken und um die Besucher dazu anzuregen, direkt in den Himmel zu schauen.“

 

 

Aufwändige Vorarbeit mit 3D

Weil ein Teil des Mauerwerks marode war und teilweise Einsturzgefahr bestand, war die Burgruine seit 2014 gesperrt. Atelier-r unterzog daher die gesamte Anlage einer eingehenden Voranalyse: Inspektionsflüge mit Drohnen machten eine Bestandsaufnahme und Dokumentation auch an schwer zugänglichen Stellen des Mauerwerks möglich. Ein 3D-Modell zur Planung der Rekonstruktionsmaßnahmen, das auf Tausenden von Fotos basierte, ermöglichte es Miroslav Pospíšil und Martin Karlík, Veränderungen in Putz- und Mauerwerk zu kartieren.

 

 

Ende August 2020 öffnete Helfštýn für Besucher. Lediglich einen guten Monat war die Burg wieder zugänglich, bis der erneute Corona-Lockdown in Tschechien Anfang Oktober einsetzte. Über den bisherigen Zuspruch freut sich Burgverwalter Jan Lauro dennoch: „Als Kunsthistoriker halte ich die Rekonstruktion der Burg für ein Projekt von zumindest mitteleuropäischer Bedeutung. Das architektonische Konzept rettet zum einen die Renaissance-Ruine, zum anderen bringt es minimalistische Architektur mit ein. Außerdem kommen neue Nutzungen und überraschende Ausblicke hinzu: Wir können jetzt dorthin gehen, wo seit 200 Jahren niemand mehr gewesen ist, auch auf die Aussichtsplattform, die den besten Blick auf die Mährische Pforte bietet.“

 

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