11.01.2022

Gewerbe

Restaurierung der Bötzow-Brauerei von David Chipperfield Architects

Nachhaltigkeit Ziegel
Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

Sieben Jahrzehnte dämmerte das Industriedenkmal Bötzow-Brauerei am Prenzlauer Berg in Berlin im Dornröschenschlaf. Erst jetzt wurde der Komplex restauriert, werden im Zweiten Weltkrieg geschlagene Lücken wieder ergänzt. David Chipperfield Architects haben sich der Substanz behutsam genähert und versucht Historie und Zukunft des Ensembles bestmöglich miteinander zu versöhnen.

Foto: Simon Menges

Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Prenzlauer Berg in Berlin Brauerland. Mehr als ein Dutzend Brauereien produzierten hier im Osten der Stadt Bier. Viele der Brauereien besaßen auch einen großen Biergarten. Dort wurde das Getränk direkt an die Bewohner der riesigen Arbeiterquartiere, die im Kaiserreich am Prenzlauer Berg wuchsen, ausgeschenkt. Einige der Biergärten haben sich bis heute erhalten. Derjenige der ehemaligen Brauerei Pfefferberg an der Schönhauser Allee ist ein architektonisch besonders gelungenes Beispiel. Die Brauerei Pfefferberg selbst dagegen wurde bereits in der Weimarer Republik stillgelegt. Heute befinden sich auf ihrem Gelände unter anderem die Architekturgalerie Aedes, das Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation, ein Hostel und mehrere Künstlerateliers.

Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

Eine Zukunft für historische Brauerei-Areale

Der Pfefferberg ist nicht das einzige Brauereigelände, das heute als Mischnutzung gewerblichen und kulturellen Zwecken dient. Die „Kulturbrauerei“, einige hundert Meter weiter stadtauswärts an der Schönhauser Allee gelegen, entstand gleich nach der Wiedervereinigung in den Gebäuden einer ehemaligen Schultheiss-Braustätte. Bis heute erfreut sich das Areal mit Kino, Gastronomie und Einzelhandel großer Beliebtheit bei Einheimischen und Touristen. Zwischen 2015 und 2018 restaurierte das Büro Max Dudler übrigens einen anderen ehemaligen Standort der Brauerei Schultheiss im Stadtteil Moabit und ergänzte den Bestand durch Neubauten.

Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

Mit der ehemaligen Bötzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee wird derzeit eine weiteres Stück Berliner Industriegeschichte aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Der ab 1885 errichtete Betrieb der Brauereidynastie Bötzow war im Kaiserreich eine der modernsten Produktionsstätten der Metropole. Hier konnte man untergäriges Bier brauen, für das, anders als bei obergärigem Bier, niedrige Temperaturen erforderlich sind. Zur Lagerung wurden deshalb große Gewölbekeller gebaut. Zugleich entstand ein Biergarten, der sich großer Beliebtheit erfreute. Dazu trug fraglos bei, dass die Brauerei nur einen kurzen Fußmarsch vom Alexanderplatz entfernt lag und damit aus der Innenstadt schnell zu erreichen war.

Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

So viel erhalten wie möglich

Doch nach der teilweisen Zerstörung des Komplexes im Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb nicht wieder aufgenommen – weder der Brauerei noch des Biergartens. Das Gelände lag in weiten Teilen brach. 2010 kaufte der Unternehmer Hans Georg Näder, Eigentümer der Orthopädietechnik-Gruppe Ottobock SE aus Duderstadt, das Gelände. Näder plante hier eine Mischung aus Gewerbe, Gastronomie und Kultur. 2014 beauftragte er David Chipperfield Architects DCA mit der Erarbeitung eines Masterplans für das Areal. Im Anschluss betraute er das Büro auch mit der Sanierung des Bestandes und dem Entwurf der vorgesehenen Neubeuten. Seit 2021 erstrahlen die Altbauten nun weitgehend im alten Glanz.

Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

Ziel der Restaurierung war es, so viel der Originalsubstanz wie möglich zu erhalten. Das DCA in dieser Hinsicht wahre Meister sind, haben sie unter anderem mit der gerade wiedereröffnete Neue Nationalgalerie bewiesen. Auch bei der Bötzow-Brauerei zeigten die Architektinnen und Architekten viel Fingerspitzengefühl und griffen nur äußerst zurückhaltend in den Bestand ein. Nach wie vor bestimmen die gelben und roten Ziegel der Fassaden den Eindruck. Sie schaffen Einheitlichkeit im Stilgemisch aus neobarocken und neoromanische Formen. Wesentlicher Teil der Bauaufgabe war es, den gewaltigen Gewölbekeller, auf dem der Komplex steht, für eine neue Nutzung zu erschließen. Dafür wurden an mehreren Stellen neue Zugänge geschaffen.

Foto: Laurian Ghinitoiu
Foto: Laurian Ghinitoiu
Foto: Laurian Ghinitoiu
Foto: Laurian Ghinitoiu

Future Lab und Biergarten

Hauptnutzer der Bestandsbauten ist die Ottobock SE selbst, die dort ihr „Future Lab“ installiert hat. Darüber hinaus sind Flächen für die Nutzung als Co-Working-Space entstanden. Auch Gastronomie sowie ein Food Market gehören zum Nutzungskonzept. Bereits vor einigen Jahren hat Sternekoch Tim Raue in den Räumen der Bötzow-Brauerei sein Restaurant „Soup Populaire“ eingerichtet. Derzeit ist es allerdings aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen. In den Sommermonaten besonders reizvoll dürfte eine wiedergewonnene Einrichtung auf dem Gelände sein: Erneut soll ein Biergarten auf dem Brauerei-Areal eröffnen – auf genau der Fläche, wo er bereits vor dem Krieg existierte. Bleiben schließlich noch die enormen Kellergewölbe: Sie bezieht zukünftig ein Fitnessstudio samt Spa.

Quelle: Julius Bötzow Brauerei Berlin 1864- 1939, Verlag Hoppenstedt & Co., Berlin 1939
Quelle: Julius Bötzow Brauerei Berlin 1864- 1939, Verlag Hoppenstedt & Co., Berlin 1939

In den nächsten beiden Bauabschnitten entstehen bis 2025 vier Neubauten auf dem Gelände der Brauerei. Ihr Fußabdruck entspricht dabei weitgehend vier Gebäuden, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind. Drei Häuser werden weitere Büroflächen und den Ausschank für den Biergarten aufnehmen. Außerdem entsteht auf der Fläche der zerstörten Unternehmervilla der Familie Bötzow ein neues Wohngebäude. Die Renderings von DCA zeigen für die Neubeuten eine einheitliche Formensprache, deren rationales Erscheinungsbild an die Tradition des Industriebaus anknüpft.

Rendering: David Chipperfield Architects
Rendering: David Chipperfield Architects
Rendering: David Chipperfield Architects
Rendering: David Chipperfield Architects

Wo bleibt die Kultur in der Brauerei?

Leider nicht vorgesehen sind bislang kulturelle Nutzungen in dem Gebäudeensemble. Es wäre unbedingt wünschenswert, diese Lücke noch zu schließen. Denn eine populäre Kultureinrichtung könnte als Brücke zwischen den Stadtteilen Mitte und Prenzlauer Berg dienen – zwischen Volksbühne, Suhrkamp-Haus und Soho House im Süden und der Flaniergegend rund um Wasserturm und Kollwitzplatz im Norden. Eine solche Kulturnutzung stände dem Projekt in der Tradition der Brauerei-Revitalisierungen am Prenzlauer Berg gut zu Gesicht.

Kulturbauten sind ja eigentlich die Spezialität von David Chipperfield Architects. Jüngst eröffnete ihre Erweiterung des Kunsthauses Zürich.

Ansicht Südost, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Ansicht Südwest, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss EG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss 1. OG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss 2. OG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss 3. OG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss 4. OG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss 1. UG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Grundriss 2. UG, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Schnitt, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Schnitt, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Schwarzplan 1:10000, Zeichnung: David Chipperfield Architects
Schwarzplan 1:5000, Zeichnung: David Chipperfield Architects

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