24.03.2020

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Better Call Saul: Home Office Kulturtipp

Homeoffice-Kulturtipp 1: Film/Fernsehen (Illustration: Juri Agostinelli)


Unterirdische Architektur

Sind Sie im Home Office? Wir auch. Ist Ihnen langweilig? Uns auch nicht. Trotzdem wollen wir Sie für den Fall der Fälle mit interessanten Kulturtipps versorgen: Filme und Serien, Bücher, Podcasts, Kunst – alle relevant, gut für´s Gewissen und daheim auf dem Sofa konsumierbar. Mit Better Call Saul macht natürlich eine Netflix-Empfehlung den Anfang. Der Streaming-Dienst ist schliesslich verantwortlich dafür, dass Serien-gucken heutzutage salonfähig ist.

Wenn Architekturkritiker sich die ganz großen politischen Themen vornehmen wollen, adressieren sie gern die politische Verantwortung von Stararchitekten. Die Frage ist dann: „Darf man für … (einzusetzen Regime oder Potentat XYZ) bauen?“ Schon von daher (aber nicht nur deshalb) kann ich Ihnen, geschätzte Leser, die TV-Serie „Better Call Saul“ (die bei uns auf Netflix läuft) sehr empfehlen. Denn auch da prallen Architektur und die Macht des Bösen aufeinander. Der (deutsche) Architekt Werner Ziegler (gespielt von Rainer Bock) nämlich ist es, der dem Drogen-Potentaten Gustavo „Gus“ Fring (Giancarlo Esposito) ein beeindruckendes Labor zur Produktion von Methamphetamin unter die Erde der Stadt Albuquerque in New Mexico baut.

Dem Image der Architektenzunft gereicht die Darstellung Zieglers nicht gerade zur Ehre. Der Mann wirkt eher vertrottelt. Und trottelig gerät auch sein tragisches Ende. Aber seinen Job macht er, das High Tech-Labor wird plangerecht fertig. Damit ist die räumliche Basis gelegt für Frings großflächige Ausweitung des Drogen-Geschäftes in Albuquerque. Letzteres spielt in Better Call Saul noch eher eine Nebenrolle, gerät aber dann in der Kultshow „Breaking Bad“ (zu der Better Call Saul das Prequel darstellt), durch den Chemielehrer und Meth-Koch Walter White (Bryan Cranston) zu voller Blüte.

Das größte Architekturprojekt von Better Call Saul findet also unterirdisch statt. Die Architektur liefert nicht das große Ikonen-Spektakel in der Show, welche die Transformation des gutmütigen Mittelmaß-Juristen Jimmy McGill (Bob Odenkirk) zum sinistren Mafia-Verteidiger Saul Goodman verfolgt. Die vorzeigbaren architektonischen Highlights Albuquerques, etwa das modernistische Simms Buildingaus dem Jahr 1954 (Architektur: Flatow, Moore, Bryan und Fairburn), spielen keine große Rolle. Wir sehen viele Provisorien, Zweckarchitektur, Mall-Landschaften.

Das Flache ist das Böse

Das passt zur bewussten Orientierungslosigkeit, die Better Call Saul stiftet. Die gesamte Serie findet kulturell in Zwischenwelten statt – zwischen den USA und Mexiko, zwischen arglosem Lehrertum und Hardcore-Drogenwelt, zwischen dem Rechtssystem als Stütze der Gesellschaft und miesen Tricks zur juristischen Verteidigung Kleinkrimineller. Nichts ist hier, wie es scheint. Die Sonne scheint unerbittlich, doch sie enthüllt nichts. Das Farbspektrum der gesamten Serie tendiert zum Pastelligen, aber es ist kein heiteres Genuss-Pastell á la Miami, sondern ein permanent verblasstes. Und die Freiheitsstatue, die in Breaking Bad auf Saul Goodmans Büro in einer Stripmall thront, ist zum Aufblasen.

Zum eiskalten Gangster-Verteidiger Saul muss Jimmy aber erst noch werden. In Better Call Saul kämpfen unterschiedliche Welten in ihm. Das ist mitunter schmerzhaft zu sehen, aber zugleich sehr unterhaltsam. Interessanterweise repräsentiert ausgerechnet ein Mehrfamilienhaus in der Serie das Gute (das, wir wissen es, verlieren wird): Mit der honorigen Anwältin Kim Wexler (Rhea Seehorn) wohnt Jimmy eine Zeit lang in einem maßvollen Apartment in einem schmucklosen, aber gewissermaßen „ehrenwerten“ Mehrfamilienhaus mit Blechfassade und vorgeschraubten Balkonen. So sieht es aus, wenn mittelmäßige Architekten Stadtverdichtung betreiben. Doch man ahnt es – das alles geht dauerhaft nicht gut. Die urbane Verdichtung nicht (und das, obwohl das reale Albuquerque eine der am schnellsten Städte der USA darstellt). Und das solide Leben auch nicht. Kim und Jimmy wissen das wohl, was den kleinen Wutausbruch erklärt, in dem sie eines Abends ein paar Bierflaschen vom Balkon feuern. Im Albuquerque von Better Call Saul strebt alles in Richtung Flächigkeit, Wüste, Bungalow, Strip Mall. Das Flache ist das Böse – und das Erfolgreiche.

“Is the man listening?”

Zumindest temporär. Von Dauer sind sie natürlich auch nicht, die Drogenimperien von Gus Fring und anderen teuflischen Strippenziehern, gerne mit Hauptsitz im angrenzenden Mexiko. Dass alles ein wenig auf Wüstensand gebaut ist beziehungsweise aus Pappe, sehen wir in Better Call Saul in einem bemerkenswerten Flash Forward zum Ende von Breaking Bad in Staffel 4. Da beginnt plötzlich eine Folge mit einem Blick aufs Ende der ganzen Saga. Wir sehen den komplett mephistophelisierten Saul in seinem Ovalen Office in der Mall. Die lächerlichen ionischen Säulenimitate, die in Breaking Bad öfter die Kulisse bilden, sind noch da, aber eine hängt schräg an der Wand – offenbar eben ein Imitat aus Pappe. Das Ende des Rechts-Regenten Saul kommt. Der muss schnell noch ein Handy (also ein Beweismittel) zerrupfen. Dann macht er den Abflug.

Nach diesem Blick in die Zukunft macht Better Call Saul mit der linearen Erzählstruktur weiter. Wir sehen nun wieder Jimmy McGill, wie er Handys verkauft. Im Hintergrund prangt eine kryptische, aber vielsagende Werbung: „Is the man listening?“

Better Call Saul zeigt Architektur als globales Geschäft

Natürlich hört er nicht zu. In Better Call Saul strebt alles zur ultimativen Zerstörung hin. Genau dieses Wissen um die Vergeblichkeit des Strebens, kombiniert mit dem oft mäßigen Erzähltempo und den überraschenden Momenten von Menschlichkeit noch bei den schlimmsten Gangstern, machen die Serie so doppelbödig faszinierend.

Der Doomsday nähert sich dabei nicht sonderlich wortreich. Die vielleicht schönsten und oft auch komischsten Momente in der Serie sind jene, in denen geschwiegen wird. Das passt natürlich auch zum Sujet. Wer zu viel redet, wird eben auch schnell mal gekillt.

Wohl dem, der weniger redet, weil er nicht will oder kann. Wie unser deutscher Architekt Werner mit seinem mäßigen Englisch. Er sollte den Auftrag eigentlich gar nicht bekommen. Doch der Chef der ersten Ingenieursfirma hatte zu viel mit früheren Aufträgen angegeben. Das gefiel Bauherr Gustavo Fring logischerweise nicht. Also heuerten er und sein großartig stoischer Helfer Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks) die Deutschen an. Beruhigend und beunruhigend zugleich: Nicht nur der Drogenhandel wird in Better Call Saul als globales Geschäft vorgestellt – sondern auch die Architektur.

Haben Sie schon die Home Office-Kolumne auf New Monday gelesen? Architekt Roman Leonhartsberger berichtet aus seinem neuen Alltag.

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