14.05.2016

Öffentlich

Chipperfields und Koolhaas’ wichtiges Plädoyer gegen den Brexit

Update: Jetzt hat sich auch Rem Koolhaas klar gegen den Brexit ausgesprochen. In einem Interview erinnerte er sich an seine Studienzeit an der Architectural Association in den 1960ern. Damals sei die AA eine durch und durch verschnarchte Institution gewesen. Die Öffnung in Richtung Europa habe das später komplett geändert, so der überzeugte Europäer Koolhaas.

 

Architekten und ihre Beobachter rühmen sich gerne ihrer politischen Relevanz. Gebetsmühlenartig fordern sie mehr gesellschaftliches Engagement der Disziplin. Dies steht in klarem Gegensatz zur Realität bei großen Debatten. Da ist von Seiten der Architektenschaft häufig nur wenig zu hören.

Auch substanzielle Auseinandersetzungen mit der momentan diffizilen europäischen Gemengelage findet man kaum. Dabei sind die gerade zunehmenden nationalistischen Zentrifugalkräfte hochproblematisch – auch für die Baukultur und Architektur. Hier bricht gerade etwas auseinander. Und das – rapide auseinander driftende – Europa ist eben nicht nur ein Wirtschaftsraum, sondern auch ein kulturelles Projekt. Wenn dieses scheitert, verliert auch die Architektur in allen Ländern des Kontinents einen ganz wichtigen Orientierungsrahmen.

Besonders virulent erscheint mir in diesem Zusammenhang der drohende Brexit. Für mich gehört England zu Europa und nach Europa. Das Europa, in dem ich lebe und schreibe, ist eines, das auch in England verhandelt wird. Ich habe am Goldsmiths College der University of London studiert und dort viel mit Architekten über europäisches Bauen, die Metropolen dieses Kontinents, aber auch über Europa ganz allgemein diskutiert. In einem Kurs namens „Reading the City“ hat mir der Soziologe Michael Keith, der jetzt in Oxford lehrt, die flaneurhafte Erforschung der kulturell definierten europäischen Innenstadttopographien nahe gebracht. Rem Koolhaas hat am College gesprochen und gemeinsame Forschungsprojekte mit meinem Doktorvater Scott Lash gestartet. Der dortige „Center for Research Architecture“ formuliert ein hochspannendes gesellschaftskritisches Forschungsprojekt, in dessen Zentrum Architektur und Stadtplanung stehen. All dies sind Beiträge zum europäischen Architekturdiskurs, die ich auf keinen Fall missen möchte. Zumal Goldsmiths mit gefühlt 90 Prozent außerbritisch-europäischen Studierenden eine der europäischsten Forschungsinstitutionen überhaupt darstellt.

Ein weiterer Architekt, der regelmäßig am Goldsmiths College vorbei schaut, ist David Chipperfield. Er saß im Jahr 2014 in der Jury für eine neue Kunstgalerie auf dem Campus in Südlondon. Der gebürtige Londoner ist schon durch seine zahlreichen Bauten in Deutschland einer der europäischsten Architekten überhaupt. Er hat jetzt ein bemerkenswertes Plädoyer gegen den Brexit vorgelegt. Chipperfield beschreibt, an seine britischen Landsleute gerichtet, „sein“ Europa als kulturelles Großprojekt. Er will dieses erhalten, nicht zuletzt auch, um das Mindset der Briten selbst positiv zu beeinflussen. Europa, das ist für ihn die Möglichkeit, Großbritannien kultursensitiver zu machen und gerade auch die Architektur zu bereichern. Er schreibt: „Indeed it is difficult to imagine how our cultural institutions could function without these intellectual and practical connections, and how isolated our profession would become, detached from the influences and inspiration of our continental colleagues.“

Das ist ein bemerkenswerter Gedanke. Und, von einem Briten kommend, auch einer, an dem wir anderen Europäer uns ein Beispiel nehmen können. Wir fragen nämlich zu wenig, was wir unsererseits von Großbritannien haben. Dabei sollten wir ein Interesse daran haben, dass die Briten eine aktivere Rolle in Europa übernehmen. Ich möchte gar nicht in einem Europa leben, das auf angelsächsische Impulse verzichtet. Das betrifft übrigens auch die Kultur des Individualismus, wie sie in Großbritannien sicher ausgeprägter ist als diesseits des Kanals. Der kontinentaleuropäische Kollektivismus mit der permanenten Überbetonung des Staatlichen liegt mir nicht unbedingt. UK kann hier ein wertvolles Korrektiv bilden. Aber eben nur, wenn London eine starke Stimme in Europa erhebt. Eine Stimme, wie sie Chipperfield heute vermisst: „To be honest, … our current lukewarm participation makes us look very weak from a European perspective. Our cultural connections are real, we share a history and, whether we like it or not, we share a future. The English Channel can no longer ‘protect’ us from the Continent.“

Der Kanal ist schmal und wird schmäler, so Sir David. Hoffen wir, dass er damit Recht hat.

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