22.09.2017

Öffentlich

Architektur ist politisch – auf vielen Spielfeldern

Bundestagswahl. Debatten. Hysterie. Und dabei doch auch eine beträchtliche Langeweile. So lassen sich vielleicht die vergangenen Wochen Politdiskurs in Deutschland zusammenfassen. Klar ist längst: Die nächste Kanzlerin wird Merkel heißen. Und dennoch blicken wir auch aus architektonischer und städtebaulicher Sicht durchaus gespannt auf die Zusammensetzung des kommenden Bundestags. In Zeiten der rasant steigenden Mieten und des anhaltenden Zustroms von Menschen in die Innenstädte ist Politik immer auch Stadtentwicklungspolitik – und damit architekturrelevant.

Und natürlich ist Architektur auch politisch. Im der kommenden Baumeister-Ausgabe wird das zu unserem Thema. Architektur schafft Dialogräume und bringt Menschen zusammen. In ihr findet politische Auseinandersetzung statt, so sie diese denn ermöglicht und fördert. Zugleich repräsentiert die Architektur das Selbstverständnis von Städten und Gesellschaften. Das macht ja die Arbeiten von Forschern wie Stephan Trüby zum Verhältnis der AfD zu Architektur und Raumplanung so aktuell. Denn: Wollen wir wirklich „rechte Räume“: Natürlich nicht. Aber wie sieht sie denn aus, die Architektur, in der wir uns adäquat gespiegelt sehen?

Dies sind Fragen, die von der Bundestagswahl nur begrenzt tangiert werden. Doch natürlich geht es am Sonntag auch um sehr direkt architekturrelevante Themen. Die Bundespolitik beeinflusst die künftige Entwicklung unserer Städte konkret, auch wenn Stadtplanung im Kern Sache der Kommunen ist. Aber die Parteien haben durchaus Programmatisches zur lebenswerten Stadt und der Rolle der Politik in der Schaffung dieser zu sagen.

Einen Wahlomat „Architektur“ gibt es nicht. Eine interessante Plattform ist aber das „Netzwerk Immovielien“. Diese hat die Programme der wichtigen Parteien auf deren Haltung zur Stadtentwicklung hin abgeklopft. Grob gesagt steht bei dem Check immer die Frage im Zentrum: Welche Sonderrechte sollen gemeinwohlorientierte Privatinitiativen am Wohnungsmarkt genießen? Wie viel Staatseingriff zu Gunsten von mehr öffentlichem Raum und günstigerem Wohnen lassen die Parteien zu? Sollen Kleingärten, Parks oder Gemeinschaftsgärten trotz großer Nachfrage nach Baugrundstücken erhalten bleiben, wenn sie der Allgemeinheit zur Verfügung stehen?

Ich selber habe den Check gemacht und bin mit der Wahlempfehlung „grün“ rausgekommen. Für mich eine Überraschung. Das hängt aber damit zusammen, dass ich bei vielen Fragen gedacht habe „wenn das gut gemacht ist, dann ja“. Oder: „Wenn es denn im konkreten Fall wirklich nötig ist, gern.“ Diese Differenzierung nimmt die Initiative nicht vor.

Und das ist auch das Problem der Debatte über die Politik in Architektur und Städtebau insgesamt: Sie differenziert nicht. Sie handelt mit nicht weiter diskutierten No-Brainern, die immer wieder repetiert werden und an die alle Diskursbeteiligten glauben. Die Immobilienwirtschaft ist danach grundsätzlich schlecht. Große Unternehmen auch. Die Zukunft der Mobilität gehört ausschließlich Fahrrädern und der Bahn. Jeglicher staatliche Eingriff ist gut.

Das ist nicht meine Haltung. Staatliche Eingriffe können sinnvoll sein. Sie sind aber dosiert vorzunehmen. Denn ein funktionierender Markt ist ebenfalls gut und wichtig. Oder anders: Der Markt ist gut – wenn er denn funktioniert.

Eingriffe in Marktprozesse können auch nach hinten losgehen. Die Versuche der Politik, die steigenden Mieten in Ballungszentren zu kontrollieren, zeigen das gerade. Die Mietpreisbremse funktioniert nicht. Ob derlei künstliche Obergrenzen insgesamt ein geeignetes Mittel sind, um galoppierende Mieten einzudämmen, da bin ich skeptisch. Meine Skepsis teilen inzwischen übrigens auch die großen politischen Parteien. Eine Podiumsdebatte der Architektenkammer Baden-Württemberg zeigte das kürzlich.

Wie dem auch sei – noch ist offen, mit wem Angela Merkel demnächst Koalitionsgespräche führt. Immerhin bieten diese mal wieder einen Anlass, um über die architektonische Aussagekraft des Berliner Kanzleramtes von Axel Schultes und Charlotte Frank nachzudenken. Das erst 2001 eröffnete Gebäude selbst hat übrigens schon merklich Abnutzungszeichen. Mal schauen, ab wann diese medial erstmals symbolisch eingesetzt werden – und mit welcher Aussage.

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