Mechtild Schoenberger in ihrem Arbeitszimmer

Mechtild Schoenberger


Von Gender-Gap und Frauen in der Architektur

Baumeister-Academy Gewinnerin Catherina Wagenstaller schreibt neben ihrem Praktikum bei Henning Larsen Architekten in München für den Baumeister. In ihrer Reihe „Architektur in Bayern, die etwas bewegt“, beleuchtet sie Projekte, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bringen – egal ob digitale Plattform, Architekturbüro oder Gebäude. Dieses Mal widmet sie sich einem Thema, das ihr besonders am Herzen liegt: Architektinnen. 

Die Projekte der Reihe „Architektur in Bayern, die etwas bewegt“, sind nach soziokulturellem und sozialem Mehrwert ausgewählt. Alle Projekte haben ein weiteres Auswahlkriterium, das bisher nicht beleuchtet wurde: Frauen – selbstständig, projektleitend oder mitarbeitend.

Als junge Architektinnen hören wir ständig vom „Gender-Gap“ und der Benachteiligung. Noch immer ist der männliche Habitus „State of the Art“. Es tut sich bereits einiges. Es gibt immer mehr Architektinnen und ihre Arbeiten werden hervorgehoben, wenn auch meist unter dem Titel „Frauen in der Architektur“. Das ist wichtig, führt aber nicht unbedingt zudem, was wir uns wünschen: Architektur – geschlechterunspezifisch. Abgesehen davon, sollte der Fokus mehr auf das Positive und Bestärkende gerichtet werden. Auf das, was bereits möglich ist für uns und was viele von uns schon erreicht haben. Wir benötigen Vorbilder, die uns konkret mit den Herausforderungen helfen – und die gibt es.

Ich suchte nach eben diesen und sprach mit zwei Architektinnen. Ich sprach mit Jacqueline Karpa, einer jungen Architektin und Gründerin der Plattform „Der weibliche Architekt“ und traf Mechtild Friedrich-Schoenberger, eine seit den 80ern selbstständige Architektin und vierfache Mutter (ihre Tochter ist Mitgründerin von Pionira). Da es uns alle angeht und die Thematik eben kein „Frauending“ ist, interviewte ich zwei Geschäftsführer von Guggenbichler + Wagenstaller, einem Architektur- und Ingenieursbüro mit circa 50 Prozent Frauen im Team. Beide haben mindestens eine Tochter in der Baubranche – eine davon bin ich selbst.

Jacqueline Karpa – Gründerin von „Der weibliche Architekt“

Jacqueline Karpa – junge Architektin, Gründerin von „Der weibliche Architekt“

“Einander zu bestärken, Unterstützung und Solidarität untereinander zu zeigen, ist wichtig.”

Catherina Wagenstaller: Was macht Deine Plattform „Der weibliche Architekt“ und mit welchem Ziel hast Du diese ins Leben gerufen?
Jacqueline Karpa:
Der weibliche Architekt entstand, um jungen Frauen in der Architektur Mut zu schenken, sie zu inspirieren und ihnen Perspektiven zu geben. Ziel ist es, zu zeigen, dass sie mit ihren Erfahrungen und Herausforderungen im Büroalltag nicht allein sind. Ich teile Artikel über Architektinnen, ihre Arbeiten und Zitate. Durch die Interaktionen entstehen großartige Denkanstöße. Ich schicke auch regelmäßige „Reminder“ in den Büroalltag.

CW: Was ist Dir wichtig, bei Deiner Auswahl für die Plattform?
JK:
Ich identifiziere mich damit und finde die Inhalte inspirierend. Bei den Zitaten muss eine gewisse Message rüberkommen, die zum Nachdenken anregt und motiviert. Diesen Mehrwert möchte ich mit allen teilen. Ich glaube, einander zu bestärken, Unterstützung und Solidarität untereinander zu zeigen, ist wichtig.

CW: Wie gehst Du bei Deinen Recherchen vor?
JK:
Die Recherche läuft über Printmedien und im Internet. Danach schreibe ich die Architektinnen an.

CW: Mit Deinen „Remindern“ gibst Du immer wieder positiven Input – auch über die Architektur hinaus. Was steckt dahinter?
JK:
Im stressigen Büroalltag geht manchmal unter, sich wertgeschätzt zu fühlen. Die „Reminder“ sollen einem ein gutes Gefühl geben, damit man weiß: „Meine Arbeit ist wertvoll.“

CW: Du selbst bist seit 3,5 Jahren in Vollzeit beruflich tätig. Welches berufliche Erlebnis war für Dich besonders schön?
JK:
Eines davon war, den 1. Preis bei einem Wettbewerb für eine Grundschule zu gewinnen und diese jetzt auch planen und realisieren zu dürfen. Mein Chef klopfte mir damals auf die Schulter – ein schönes Feedback. Schön ist immer, das erste Mal auf die Baustelle zu gehen und entstehen zu sehen, was man zuvor plante. Besonders waren auch die Begegnungen mit Menschen durch meinen Beruf, die ich nun zu meinen Freunden zähle.

CW: Welche Erkenntnisse hattest Du durch Deine Recherchen und persönlichen Erfahrungen? Gibt es etwas, das Dir in schwierigen Situationen hilft?
JK:
Eine große Erkenntnis ist: „Du bist nicht allein.“ Bei den Recherchen und beim Austausch mit Kolleginnen zeigt sich, dass es viele junge Frauen gibt, die die gleichen Erfahrungen machen. Kommunikation und Austausch sind sehr wichtig. Ebenso wertvoll ist Solidarität untereinander. Ich kann empfehlen, Bedürfnisse, Grenzen und Positionen klar zu kommunizieren. Hilfreich ist eine ehrliche Nachfrage, wenn etwas unverständlich ist. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen.

CW: Welche nächsten Schritte gehst Du mit „Der weibliche Architekt“ und was wünschst Du Dir für die Zukunft in der Architektur?
JK: „
Der weibliche Architekt“ soll interaktiver werden: Interviews, Diskussionen, Workshops. Gerne würde ich auch an Studierende herantreten. Meine Website wird weiter ausgebaut, damit wir Frauen mit der Plattform eine Anlaufstelle haben, an die wir uns richten können. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es wieder mehr um die Menschen und die Atmosphären geht, die wir mit unserer Architektur kreieren können und weniger um die Egos dahinter – und, dass wir als gemeinsame Berufsgruppe gesehen werden.

Mechtild Friedrich-Schoenberger – selbstständige Architektin und vierfache Mutter

Mechtild Friedrich-Schoenberger – selbstständige Architektin und vierfache Mutter

“Dieser Beruf ist der schönste Beruf der Welt, weil es ein positiver Beruf ist.”

CW: Hast Du Dich schon zur Ruhe gesetzt?
Mechtild Schoenberger:
Nein, als Architektin setzt man sich nie zur Ruhe. Erst kürzlich habe ich begonnen einen Katalog für meine Lampenserie zu gestalten, den ich schon 40 Jahre lang vor mir herschiebe.

CW: Was waren die wichtigsten Meilensteine Deiner beruflichen Laufbahn und zu welcher Zeit Deiner Karriere hast Du jeweils Deine Kinder bekommen?
MS:
Der Erste war ein Pavillon der „Gemeinschaft Holz“ für die Bau80 – drei Jahre nach dem Studium. Ich durfte den Entwurf, die Details und die Umsetzung eigenverantwortlich begleiten. In der Zeit machte ich auch einige Wettbewerbe mit einer Kollegin aus dem Studium. Aufgrund des Pavillons bekam ich eine Assistentenstelle an der Technischen Universität München bei Prof. Meitinger. Dort war ich drei Jahre, bis das erste Kind kam. Wenn ich heute nochmal in dem Alter wäre, würde ich die Stelle nicht mehr freigeben. Im akademischen Umfeld hätte man leicht mehrere Kinder großziehen können. Das Bauen hat mir aber auch Spaß gemacht.

CW: Wie alt waren Deine Kinder, als Du wieder gebaut hast?
MS:
Ich habe immer gebaut. Es gab keine Zeit ohne Architektur. Ich hatte Renovierungen in meiner Gemeinde in Gauting, renovierte mein eigenes Haus im Norden und später ein Bauernhaus usw. Dieser Bauherr hatte mir eine Tagesmutter vermittelt. Aus dieser Beziehung kam übrigens eine Ersatzgroßmutter bis 2015. Später folgte der Neubau in Ammerland. Jil Sander sagte mal: „Bloß keine Kompromisse.“ – und das würde ich bestätigen. Man muss seiner Linie folgen, es durchziehen und sich auch nicht reinreden lassen. Man muss versuchen, die eigene Berufung zu leben.

CW: Was war die Architektur für Dich neben dem Vollzeitjob als vierfache Mutter?
MS:
Sie war genauso wichtig wie die vier Kinder und die Familie – und ist es noch. Ich könnte mir ein Leben ohne diesen Beruf nicht vorstellen. Dieser hat mich in schwierigen Zeiten aufgerichtet. Es hat mich fasziniert, Familie und Beruf unter einem Dach zu haben. Ich arbeitete vormittags, konnte abends nacharbeiten oder wenn die Kinder Hausaufgaben machten – wie Homeoffice heutzutage. Das fand ich sehr angenehm, außer dass die Arbeit nie wirklich aufhörte.
Diese Durchmischung des Ganzen erlebte ich aber als sehr positiv. Ich würde es wieder so machen!

CW: Welche besonders schönen Erfahrungen hast Du in der Architektur gemacht?
MS:
Besonders gute Erfahrungen hatte ich mit den Gewerken der Zimmerer und Schreiner. Wahrscheinlich verbindet einen die Leidenschaft zum Material Holz. Ich hatte oft sehr positive Situationen mit Handwerkern. Schwieriger fand ich es mit Bauherren, dafür war es mit Bauherrinnen immer besonders gut. Vor allem mit denen, die selbst im Berufsleben waren. Es ist schon schön, wenn Frauen etwas gemeinsam erschaffen.

CW: Ich würde schon behaupten, dass Frauen wie Du ein echtes Vorbild sein können. Gibt es etwas, das Du uns jungen Frauen in der Architektur mitgeben willst?
MS:
Ja, es ist wichtig sich gut zu vernetzen, generell die Schritte im Berufsleben gut zu überlegen und Euer Selbstbewusstsein durch universitäre Laufbahnen gut zu unterstützen. Das gibt Euch Kraft. Vielleicht eine Professur anstreben, weil man damit eine andere Gewichtung bekommt. Dieser Beruf ist der schönste Beruf der Welt, weil es ein positiver Beruf ist.

CW: Was wünscht Du Dir für die Zukunft in der Architektur?
MS:
Ich habe mit Freude in der neuen Bauordnung gelesen, dass der Holzbau und das Aufstocken erleichtert wird. Schön wäre es, den mehrgeschossigen Wohnungsbau in Holz und generell heimische Materialien mehr zu fördern. Auch alternative Wohnformen als Ansatz müssen noch mehr gedacht werden.


CW: Und in Bezug auf uns Frauen?
MS:
Ich mach mir keine Sorgen. Die jungen Frauen heute haben sich freigeschwommen. Insofern bin ich da ganz beruhigt. Ihr werdet das alles super machen. Man kann das auch gut mit Kindern. Ich mache Euch besonders viel Hoffnung.

Guggenbichler + Wagenstaller – Architektur- und Ingenieurbüro mit ca. 50 Prozent Frauen im Team

Johann Wagenstaller, Martin Guggenbichler (v.l.) gründeten Guggenbichler + Wagenstaller

CW: Von 32 MitarbeiterInnen sind 17 weiblich. War das eine bewusste Entscheidung?
Johann Wagenstaller:
Wir hatten immer viele Frauen im Büro – mindestens 50 Prozent. Ausgeglichenheit der Geschlechter ist gut. Sobald Frauen mit in einer Runde sind, ist es lockerer. Die Aufgaben werden nicht nach Geschlechtern getrennt. Man weiß die jeweiligen Stärken der oder des Einzelnen und setzt die Leute danach ein. Damit bereichern sie sich untereinander.

CW: Es geht häufig darum, wo wir Architektinnen noch benachteiligt sind. Welche besonders guten Erfahrungen habt Ihr mit Frauen in der Architektur und Tragwerksplanung gemacht?
JW:
Dieses Denken gibt es bei uns im Büro nicht. Es gibt anfangs auf der Baustelle vielleicht eine Reserviertheit, aber irgendwann schwenkt das um und die Handwerker sind dann viel zugänglicher. Auch mit Bauherren kann es harmonisch und auf Augenhöhe sein – Durchsetzungsfähigkeit hilft.

Martin Guggenbichler: Alte Poliere auf der Baustelle haben generell mit jungen Menschen ein Problem und dann noch eine Frau. Junge Damen sind nicht weniger kompetent als junge Männer. Die Frauen müssen sich durch Hartnäckigkeit und Kompetenz besser profilieren und die Position klarstellen. Sie dürfen sich auf keinen Fall beirren lassen.
Wenn eine junge Frau bei Besprechungen dabei ist, herrscht ein anderer Ton. Das ist sehr positiv. Viele Firmen nehmen die jungen Frauen und Männer zu wenig an die Hand, sodass sie auf der Baustelle ohne Erfahrung verzweifeln. Es braucht einfach mehr Unterstützung. Auf dem Ingenieurssektor ist eine Frau noch eher exotischer – wobei ich hier eine starke Zunahme bemerke. Bei den Architektinnen ist das Verhältnis schon ausgeglichener.

CW: Im Studium ja, aber im Beruf verschwinden wir Frauen. Gerade in den Jahren, in denen es beruflich wichtig ist, kommen die Kinder. Viele kehren dann nicht mehr in den Beruf zurück.
MG: Man muss auch akzeptieren, wenn sich Frauen für diesen Schritt entscheiden. Wenn eine Frau die Kinderbetreuung übernimmt, kann man das nicht hochgenug anrechnen. Man braucht ein gut funktionierendes Netzwerk und Unterstützung – auch vom Unternehmen.
JW: Teilzeitarbeit bedeutet zwar einen Spagat, aber man verliert den Bezug zur Arbeit nicht. Später könnte man wieder mehr arbeiten. Der Bezug zum Beruf darf nicht verloren gehen. Es entwickelt sich alles weiter.
MG: Ich muss sagen: Hut ab – diesen Spagat hinzukriegen. Frauen müssen sich einfach zusammen mit dem Mann entscheiden, welchen Weg sie einschlagen. Es gibt keine Automatismen wie: Wo die Mutter daheim war, werden die Kinder top und wo nicht, werden sie ein Flop.

CW: Wenn eine Situation entsteht, die für uns Frauen unfair ist: Wie sollen wir vorgehen?
MG:
Wir hatten diesen Fall erst kürzlich mit meiner Tochter. Ich fragte die Handwerker offen, ob sie ein Frauenproblem hätten. Man kann es auch als Frau ansprechen. Wenn man den Richtigen findet, kommt das gut an. Aber es gibt auch einige, die es leugnen würden. Es ist schwierig, dort eine Empfehlung zu geben. Der Konflikt wird in der jungen Generation leichter, weil sie einfach anders konfrontiert werden.

CW: War es für Euch als Männer leicht? Was hat Euch geholfen bei schwierigen Situationen?
JW:
Nein, jedes Bauvorhaben hat seine eigenen Schwierigkeiten, aber mit zunehmender Erfahrung bekommt man seine Routine. Es liegt immer an einem selbst, an seinem Wissen und am Umgang damit. Man kann nicht alles wissen und es ist keine Schande, das zu sagen. Es ist auch mutig, die Erfahrungen anderer in ein Projekt miteinzubeziehen. Man ist Dirigent und muss nicht die beste Geige sein.

CW: Wie geht das Büro mit dem Thema „Kinderwunsch“ um und inwiefern werden die MitarbeiterInnen dahingehend unterstützt?
JW: Jeder von uns Büroinhabern hat mindestens drei Kinder. Uns ist die Schwierigkeit bewusst. Wenn man eine Frau einstellt, liegt es in der Natur, dass diese womöglich schwanger wird. Wir freuen uns dann und wenn sie nach der Elternzeit wieder arbeiten möchte, ist sie gerne gesehen. So wird das auch praktiziert. Wir haben eine Mitarbeiterin, die arbeitet halbtags von zu Hause aus, um ihr Kind zu betreuen. Ebenso gibt es einen Mitarbeiter, der vier Tage arbeitet und die Stunden anders verteilt, um einen Tag daheim beim Kind zu sein. Wir arbeiten flexibel. Wenn ein Elternteil z.B. keine Zeit hat, dann bleibt der andere daheim. Wichtig ist, dass die Arbeit zeitnah gemacht ist.

CW: Gibt es etwas, das Ihr den jungen Frauen in der Baubranche mit auf den Weg geben wollt?
JW:
Ich wüsste nicht, wieso man einer Frau andere Tipps als einem Mann geben sollte. In der Architektur muss man sich für die Arbeit voll einsetzen, wenn man Erfolg haben will. Der Grundgedanke ist, dass das Arbeiten Spaß macht.

CW: Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft in der Architektur und Tragwerksplanung?
MG:
Dass es unseren Leuten gut geht und die Arbeit Spaß macht.
JW:
Weiterhin anspruchsvolle Projekte, damit wir die Familien der MitarbeiterInnen versorgen können. Diese Verantwortung hat man auch. Vielleicht ebenso , dass die nächste Generation weitermacht. Wichtig ist auch, dass das Büro modern bleibt – junge Leute, die andere Denkweisen und Erfahrungen einbringen. So lernt man voneinander – egal ob Mann oder Frau.

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

Übrigens: Der Brutto-Netto-Rechner für Architekten von New Monday zeigt das Netto-Gehalt von Planern – ganz ohne Gender Pay-Gap.

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