Lena Breitenborn und Charlotte Schoenberger gründeten PIONIRA


“PIONIRA steht für Vielfältigkeit.”

Auf der Suche nach Architektur, die etwas bewegt, stellt Academy Gewinnerin Catherina Wagenstaller jeden Monat ein Projekt vor, das Antworten auf die aktuellen Themen der Baubranche bietet. Neben gebauten Projekten – wie WAGNISart im letzten Monat – kann dies auch eine digitale Plattform sein. Wie zum Beispiel PIONIRA, eine digitale Plattform, die Lena Breitenborn und Charlotte Schoenberger gründeten, um die Pioniere der Architekturwelt zu zeigen.

Die Plattform PIONIRA stellt Pioniere vor – aus der Kunst und der Architektur – und zeigt deren Projekte. PIONIRA ist ein Werkzeugkasten für Architektur, Ökologie und Handwerk, ein soziales Netzwerk für Nachhaltigkeit und ein Tool zum Ideenaustausch. Ich sprach mit den beiden Gründerinnen Lena Breitenborn und Charlotte Schönberger (gebürtige Münchnerin), zwei junge Architektinnen im Masterstudium der UdK Berlin, über ihr neues Medium.

Catherina Wagenstaller: Mit welchem Ziel habt ihr PIONIRA ins Leben gerufen und seit wann gibt es euch?
Lena Breitenborn: PIONIRA ist noch jung, aber ambitioniert. Der Klimanotstand erfordert eine neue Art des nachhaltigen Denkens – und das auf mehreren Ebenen. Es gibt eine Zukunft voller Möglichkeiten und eine vielfältige Art und Weise, wie wir unser Umfeld gestalten können. Wir wollen Informationen für möglichst viele zugänglich machen und Menschen langfristig zu einem bewussteren Umgang inspirieren, um aktiv die Schönheit der Welt zu bewahren.
Charlotte Schönberger: Unser Bestreben ist es eine Plattform für ganzheitliches Denken zu gestalten. PIONIRA steht dabei für Vielfältigkeit. Dies zeigt sich in den gewählten Projekten und durch die Diversität unserer Arbeit. Wir gestalten die Website, die Projektauswahl, die Vorbereitung der Interviews und bedienen sämtliche mediale Mittel. 
Wir wollen weg von dem Gedanken, dass man Architektur als „Nicht-Architekt“ nicht versteht. Schließlich umgibt Architektur uns alle. Unsere Aufzeichnungen haben daher eine geringe Einstiegshürde und sind meist Englisch. Es geht nicht nur ums Fach, sondern auch um Gesellschaftliches. PIONIRA soll als europaweite Plattform ein europäisches Abbild der Architektur unserer Zeit sein und für zukünftige Projekte inspirieren.

C W: Spannend – wie geht PIONIRA dabei vor und was macht die Plattform für euch aus?
C S: Wir gehen offen durch die Welt, sodass wir auf Projekte stoßen, die Architektur im größeren Sinne denken. Dazu gehört für uns Handwerk, gebauter Raum, organisch Gewachsenes, aber auch Architektur selbst. Wir treffen oft auf Menschen und Projekte, die in diesem breiteren Architekturverständnis wurzeln.
L B: Unsere Thematik beschäftigt sich generell viel mit dem Faktor Zeit und dem richtigen Umgang damit. Wir suchen nicht nur Projekte, die innovativ sind, indem sie etwas Neues hervorbringen. Wir suchen auch nach Traditionen und Altem.
C S: Damit meinen wir keine verstaubten Techniken, sondern eben die Anwendung von Dingen, die wir wieder erlernen können. Wir sind nicht gegen Fortschritt, aber wohl für das Bewahren von altem Handwerk und Arbeitsweisen. Es geht darum, die Dinge wertzuschätzen.
L B: Deswegen ist uns der persönliche Kontakt das Wichtigste: Wenn wir Orte besuchen und Menschen begegnen, bekommen wir ein anderes Verständnis davon, was diese Menschen bewegt und antreibt und können andere Perspektiven dazugewinnen. Damit erlangen unsere Beiträge eine besondere Tiefe.

“How can architecture care for the self, care for the earth and care for the people?”

C W: PIONIRA beleuchtet ganzheitlich. Pflanzen, Tiere, spezifische Kulturen, die Herstellungen verschiedener Güter, nachhaltiges Design, Frauen und die Architektur an sich spielen eine Rolle. Was war dabei euer Ausgangspunkt?
L B: Anfänglich gab es diese Frage: “How can architecture care for the self, care for the earth and care for the people?” Daraus entwickelten sich die Themenfelder. Es gab verschiedene Maßstäbe – der Mensch als Maßstab S, die Gemeinschaft als Maßstab M und als L unseren Planeten Erde. Der Leitgedanke für den ganzheitlichen Ansatz war der Mensch im gebauten Raum. Wir stellten fest, dass uns Menschen das gebaute Umfeld, die Natur und der gesamte Kreislauf der Erde beeinflussen.
C S: Ganzheitliche Architektur ist kein neues Prinzip. Das gab es schon als große Bewegung in den 80er Jahren. Gartenkolonien in Deutschland, Hippies in Amerika. Unser Ausgangspunkt war, uns bewusst historisch mit einzuordnen, um aufzuzeigen wie diese Projekte in unsere heutige Welt adaptiert und transportiert werden können, aber auch warum sie scheiterten. PIONIRA ordnet aktuelle und historische Projekte in einen bestehenden Kontext ein, um zu begreifen, wo wir heute stehen.

C W: Und zu welchen Erkenntnissen seid ihr gekommen?
C S: Zu vielen! Erstmal: Es gibt so freundliche Menschen, die offen für alternative Wege sind. Wir bewegen uns bewusst auf einem kleinen Maßstab und widmen uns im Moment noch nicht der Stadt, sondern eher dem ländlichen Raum. Dort sind die für uns wichtigen Themen vereint und in der Architektur wiederzufinden. Man muss auf kleinem Maßstab beginnen und kann Gelerntes dann immer noch applizieren. Und eine zweite Erkenntnis: Europa ist so schön! Wir haben Glück von anderen Ländern, deren Kultur und Bauweise lernen zu können. Diese Vielfalt macht Europa aus und es gilt sie zu erhalten. PIONIRA will ein Netzwerk aufbauen, das diesen Wissensreichtum für ein neues Denken in der Architektur aufzeigt.

“Man kann regionale Bauweisen verwenden und trotzdem zeitgemäß bauen.”

C W: Welche Erkenntnisse konntet ihr als Architektinnen in Bezug auf die Architektur gewinnen?
L B: Man kann regionale Bauweisen verwenden und trotzdem zeitgemäß bauen. Aber auch die Erkenntnis, dass wir Menschen Zeit brauchen ähnlich wie Pflanzen zum Wachsen. Regionalität, Handwerk – das alles benötigt Zeit, um etwas zu erschaffen. Mit der Industrialisierung ging dieses Bewusstsein verloren. Es ist wichtig, den Auftraggebern dies wieder nahezubringen. Wer nachhaltig bauen möchte, muss die Zeit wieder wertzuschätzen lernen.
C S: Letztendlich haben wir alle notwendigen Baumaterialien vor der Tür, wodurch der extreme Import und Export zukünftig nur bedingt tragfähig bleibt. Eine Bereicherung ist die Möglichkeit mit Aires Mateus, Anahory Almeida (Lissabon) oder mit Professor Nagler zu kommunizieren – Letzteres wird bald veröffentlicht. Aber es geht auch darum eben nicht nur mit Fachleuten ins Gespräch zu kommen.
Wir Architekten und Architektinnen dürfen Architektur nicht pauschalisieren, sonst können wir die ortsspezifischen Besonderheiten nicht erkennen und herausarbeiten.

C W: Was sind also eure nächsten Schritte?
L B: Wir arbeiten daran unsere Deutschland Recherche zu publizieren und möchten bald unseren Podcast veröffentlichen, damit man die vollen Interviews als Audiospur anhören kann.
C S: Wir wollen uns nun gleichzeitig mehreren Ländern widmen, um eine vielfältige europaweite Plattform zu generieren.
L B: Wir möchten PIONIRA zudem gern öffnen und Leute dazu ermutigen, zu kollaborieren, um unser Europanetzwerk wachsen zu lassen.
C S: Wir stellen uns aber auch vor, dass PIONIRA verschiedene Formate bekommt – eine Wanderausstellung, eine Workshopreihe, eine Summer School oder auch ein Festival. Es soll möglich sein, dass die Protagonisten der digitalen Plattform analog zusammenkommen und ihr Wissen weitergeben können.

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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