26.07.2017

Portrait

Annabelle Selldorf

© Christopher Sturman – Trunk Archive

 

Wie setzt sich eine Architektin in New York durch? „Das ist letztlich eine Persönlichkeitsfrage“, lautet Annabelle Selldorfs Antwort. Die schlanke, blonde Architektin aus Köln mit der leicht hanseatischen Aura hat es geschafft: Seit 1988 führt sie erfolgreich ein Büro in New York. „Es hängt davon ab, wie man sich gibt, dann kann man Barrieren beiseiteschieben“, sagt sie über ihre Karriere und hält kurz inne. „Nur … in New York und eigentlich überall, existiert eine Art von Klassenhaftigkeit, die sich damit aufhält, dass Frauen Frauen sind.“ Sie werde zum Beispiel immer wieder auf Innenarchitektur oder dekorative Fragen reduziert. „Oder, mir wurde gesagt, Architekt sei doch ein toller Beruf für eine Frau, das könne man nebenher machen.“
Lieber spricht sie über Unterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern. Amerikaner seien viel eher bereit, zu kommunizieren. Deutsche seien ordentlich und an Nachhaltigkeit interessiert, dafür gebe es in Amerika nicht einmal ein richtiges Wort. Und: Es gebe in Deutschland ein höheres Qualitätsbewusstsein, vor allem bei der Infrastruktur. Da sei das Niveau in Europa höher. „Aber dieses Deutschsein kann man nicht ablegen“, sagt sie. „Ich verkörpere alle Klischees, ordentlich, fleißig … und den Akzent.“ Immerhin, heute werde sie viel seltener als „Annabelle from Germany“ vorgestellt.

 

 

New York dank ZVS

Dass sie nach New York kam, hat sie der Zentralen Zulassungsstelle für Studienplätze zu verdanken. Die hatte ihr die Zulassung für einen Studienplatz in Architektur verweigert. „Ich bin durch Südamerika gereist, habe ein Praktikum bei einem Architekten gemacht, auch eines auf der Baustelle.“ Dass sie überhaupt Architektin werden sollte, lag wohl an ihrem Vater, der auch Architekt war. „Allerdings habe ich als Kind immer wahrgenommen, dass Architekten furchtbar viel arbeiten und nie Geld haben.“ Aber trotzdem wollte sie den Beruf ergreifen? Sie lächelt, „ja.“
1981 bewarb sie sich auf einen Studienplatz in New York, am renommierten Pratt Institute. Damals war die Stadt viel rauer als heute: man wäre nachts nicht in den Central Park gegangen, heute sind die Mieten unbezahlbar. Zunächst war es nur für ein Jahr gedacht – aber sie blieb. Noch heute bewundert sie das Universitätssystem der USA: „Es ist teuer, aber es wird 
einem wirklich viel geboten.“ Und sie liebt den „Melting Pot“ New York. „Der lässt mich neugierig und offen bleiben. Das ist ein großes Privileg.“ Erst arbeitete sie in verschiedenen Büros, wurde aber schon 1988 selbstständig. „Ich hangelte mich von einem kleinen Auftrag zum nächsten, hatte immer wenig Geld, aber ich bin weiter­empfohlen worden.“ Sie hat Wohnungen umgebaut, zuletzt luxuriöse Projekte wie ein Loft im Beaux-Art-YMCA in Chelsea. Es hat zehn Meter hohe Decken, wird getragen von weißen Säulen und gehört der Hotelerbin Beverley Kerzner, die es für 14,5 Millionen Dollar zum Verkauf anbot. Selldorf renovierte auch den Altbau der „Neuen Galerie“, dem führenden Museum für deutsche Kunst an der Fifth Avenue. Paul Goldberger, der langjährige Architekturkritiker des New Yorker bezeichnete den Umbau als einen „sanften Modernismus mit äußerster Präzision und perfekten Proportionen“.

 

 

Heute hat die Architektin, die Architec­tural Digest zu „einer der hundert besten Designer der Welt“ ernannte, ein großes Büro. Vier Partner gehören dazu – drei Frauen, ein Mann, alles Amerikaner. Und 65 Angestellte. „Manche davon sind schon so lange hier, dass sie mehrere Kinder auf die Welt gebracht haben“, sagt sie über ihre Mitarbeiter. Lange hätten sich bei ihr immer nur Frauen beworben, inzwischen fragen auch Männer an. „Männer arbeiten nicht gerne für eine jüngere Frau, habe ich festgestellt.“ Die Büroetage, lichtdurchflutet und mit Parkettfußboden, liegt am Union Square in Manhattan, wo der nachhaltige Marktbesucher Bioerdbeeren und Bisonsteaks vom Bauern aus Nebraska kauft. „Wir haben ein tolles Büro mit einem egalitären Klima“, sagt Selldorf. „Es gibt eine Hierarchie, aber jeder kann an dem Bewusstwerdungsprozess partizipieren.“

 

Mehr dazu im Baumeister 8/2017

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