19.05.2015

Event

Das Wasser steht uns bis zum Hals

Brasilianischer Pavillon

Das Motto der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig lautet „All the World’s Futures“. Was auf den ersten Blick als Thema schwer zu fassen ist, konzentriert sich letztendlich auf einen Punkt: das gemeinsame Überleben.

 

Der künstlerische Leiter der 56. Biennale ist Okwui Enwezor, Direktor am Haus der Kunst in München, der bereits 2002 mit der Dokumenta 11 in Kassel eine der weltweit größten Kunstschauen sehr erfolgreich kuratiert hat. Als gebürtiger Nigerianer, der seine Studienzeit in Amerika absolvierte und weltweit Projekte leitet, hat Enwezor einen internationalen Hintergrund, der sich in der Auswahl der Künstler und Themen widerspiegelt. Ein Fokus liegt dabei auf dem afrikanischen Kontinent und den Herausforderungen, mit denen die Menschen im Global South konfrontiert werden.

„Wie kann man die Unruhe unserer heutigen Zeit wirklich greifen, verständlich machen, untersuchen und artikulieren?“ fragt Enwezor in der Biennale. Um die Komplexität der daraus resultierenden Themen adäquat darzustellen, scheint ihm das Medium Video ein probates Mittel zu sein.

Vincent Meessen hat sich im Belgischen Pavillon mit der Situationistischen Internationale und der Beziehung der Kolonialmacht Belgien zur afrikanischen Avantgarde beschäftigt. Seine Videoarbeit „Un Deux Trois“ zeigt eine sehr kraftvolle künstlerische Auseinandersetzung mit den Machtverhältnissen in Kinshasa.

 

Im Brasilianischen Pavillon beschäftigt sich Berna Reale in ihrer 2013 entstandenen Videoarbeit „Americano” mit den Schattenseiten eines Großereignisses wie den Olympischen Spielen, die 2016 in Brasilien stattfinden sollen. Als Fackelläuferin trägt sie das Olympische Feuer durch das desolate Gefängnis in Santa Izabel in Pará.

Viele Arbeiten bedienen sich einer dokumentarischen Herangehensweise um die Sicht auf die eigene Welt und deren kulturelle Zusammenhänge darzustellen. Eine andere Möglichkeit ist der Blick in die Zukunft: Im deutschen Pavillon vermengt die Berliner Künstlerin Hito Steyerl mit ihrer Videoinstallation „Factory of the sun“ biografische Elemente mit Verschwörungstheorien und Zukunftsvisionen. Sie greift die Ästhetik eines Videospiels auf, bringt den Zuschauer aber immer wieder auf eine reflektierte Ebene von Regieanweisung und dokumentarischen Erläuterungen zurück.


Event-Kunst-Venedig
Australischer Pavillon

Installation-Kunst-2015
Australischer Pavillon

 

Im Australischen Pavillon vereint Fiona Hall das Dokumentarische mit dem Visionären und zeigt mit „Wrong Way Time“ eine interessante Mischung aus utopischem Archiv und künstlerischer Bewältigung einer kulturellen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Beim Gang durch die Giardini stellt sich die Frage, inwieweit eine Auseinandersetzung mit Flüchtlingsproblematik, gesellschaftliche Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung ästhetisch dargestellt werden kann. Die Installation im japanischen Pavillon von der in Berlin lebenden Künstlerin Chiharu Shiota, in dem tausende von Schlüsseln verlorener Heimatstätten über gestrandeten Holzbooten an roten Fäden von der Decke hängen, ist auch als Schaufensterdekoration denkbar – sie wirkt eher dekorativ als provokativ. ,Ähnlich ästhetisch geht es im Schweizer Pavillon zu, kuratiert von Pamela Rosenkranz. Der Besucher betritt eine scheinbar ruhige abgeschlossene Welt. Die Natur wirkt künstlich, fast aggressiv: Das Wasser steht uns bis zum Hals aber immerhin riecht es nach Kinderschwimmflügeln.

Die Biennale leidet unter der Schwierigkeit brisante Themen adäquat darzustellen und den Besuchers in einer Flut von Werken überhaupt noch zu erreichen. Besonders kritisch wird es, wenn die Ausstellungsarchitektur nicht dabei hilft und den einzelnen Werken nicht genügend Raum gibt. Die Ausstellung im Arsenale wirkt daher wie ein latent überfülltes Flüchtlingsboot. Die Qualität der einzelnen Exponate variert sehr stark: Alles hängt thematisch irgendwie zusammen und entwickelt in der Masse mitunter eine explosive Kraft. Aber erst die individuelle Auseinandersetzung mit den einzelnen Arbeiten lässt die Maßstäblichkeit zu, die es braucht, die Probleme unserer gemeinsamen Zukunft zu erkennen.

Die Biennale in Venedig ist noch bis 22. November 2015 geöffnet

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