19.12.2018

Event

Berlin: Die Abrissbirne kreist wieder


Berliner Abriss-Atlas

Als im Süddeutschen ansässiger Architekturschreiber ist man gut beraten, sich zur Berliner Realität nur vorsichtig zu äußern. Die Sensibilität der Hauptstädter ist groß, schnell verbietet man sich unberufene Kommentare der Provinzler.

Das Schöne am gerade veröffentlichten neuen „Abriss-Atlas Berlin“ ist es insofern, dass hier Berliner Autoren ihre eigene Stadt zerlegen. Ich bin also auf der sicheren Seite, wenn ich sage: Das Buch aus dem Mitte Rand Verlag ist auch in seiner zweiten Runde wieder extrem lesenswert und bereichernd. Nicht nur macht es erneut Freude, gesammelte Grausamkeiten rund um neokonservative Illusionen und architektonische Ideenlosigkeit kurzkritisch vorgeführt zu bekommen. Das Buch ist trotz aller Kritikerattitüde auch wieder angenehm selbstironisch – und auf selbstironische Weise größenwahnsinnig. So ist es eben leicht, Henns Zalando-Hauptquartier im Feierbiest-Weltzentrum Friedrichshain niederzumachen. Aber sehr lustig ist der Schwenk im letzten Satz, in dem die Autorin Anne Waak fordert: Macht Friedrichshain doch gleich ganz platt. Da spricht offenbar jahrelanges Leiden an Legionen hysterisch fröhlicher Party-Studenten aus ihr.

Der Abriss Atlas erscheint im Mitte/Rand Verlag.
Ein Blick ins Buch:
Die Überreste der Berliner Mauer wünscht sich Antje Stahl weg.
Die Hochbauten am Potsdamer Platz von dem Münchner Büro Hilmer Sattler sind natürlich ein nachvollziehbares Opfer.

Unerwartete Kandidaten

Alle Bilder:  © Mitte/Rand Verlag

Und nicht nur geht es dieses Mal ganzen Vierteln an den Kragen. Es werden, neben erwartbaren Opfern wie Dan Pearlman oder Helmut Jahn, auch Sympathieträger des Diskurses zerlegt: Herzog & de Meuron, Sauerbruch Hutton, Zanderroth. Und die dieses Mal silbern glänzende Abrissbirne zertrümmert auch Gebäude, die auf Seiten Kultursensibler Freunde haben dürften. Die Überreste der Berliner Mauer etwa wünscht sich Antje Stahl weg, ebenso wie – das Brandenburger Tor. Das ist, muss man sagen, ein origineller Vorschlag.

Die Frage ist aber: Wer ist eigentlich für das Elend verantwortlich? Damit wären wir, wie ein Text von Niklas Maak zeigt, wieder beim Einstieg – und bei den Süddeutschen. Denn zu den mehrfach präsenten Berlin-Verschandlern gehört das Münchner Büro Hilmer Sattler. Deren semipompöse Hochbauten am Potsdamer Platz sind natürlich ein nachvollziehbares Opfer, inklusive der Betonung der Architekten, diese hätten was von US-Wolkenkratzern der 1920er. Nun ist ja in Berlin die Behauptung populär, die Stadt „sei wie New York“. Diese (für New Yorker vermutlich überraschende) Selbsteinschätzung bedient die PR-Rhetorik des Büros.

Wie Niklas Maak das sieht, weiß ich nicht. Bezogen auf das Ritz Carlton am Potsdamer Platz macht er es jedenfalls deutlich: „Freunde aus München: Hat Euch der Föhn die Brillen von der Nase geweht?“ Womit der wahre Verantwortliche für die Berliner Misere ausgemacht wäre: Der Münchner Föhn ist’s.

Mehr zum ersten Berliner Abrissatlas gibt es hier. 

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