08.05.2014

Öffentlich

Vom Haus ohne Eigenschaften zu Männern mit

Architektur – wird heute wieder von vielen und gerne gesagt – sollte ein Werkzeug für den sozialen Wandel und einige andere romantische Vorstellungen gut gekleideter Hipsterrevolutionäre sein. Was heißt das? Wer für das wenigste Geld den meisten halbwegs brauchbaren Raum baut der ist der beste Architekt? Oder wer eine Schule in einem Armenviertel baut ist ein besserer Architekt als der, der etwa eine Erweiterung für die Schule Schloss Salem gebaut hat? In der klassischen Logik gäbe es vermutlich das Werkzeug des „Kategorienfehlers“, um derlei Unsinn schnell zu beenden. Für den Allgäuer Laien hieße das: Beim Vergleich von Äpfeln mit Birnen sollte man Vorsicht walten lassen. Nur hier und jetzt, wo sich alle überschlagen vor Lob für Studierende und Lehrende, die in Afrika Schulen nach ihren Vorstellungen von Afrika bauen, ist Logik wohl ein gefährliches Werkzeug – im entsprechenden Schränkchen gleich neben dem Hammer der Empathielosigkeit zu finden.

In diesem Sinne könnten wir jemanden wie O.M.Ungers nur als gewissenlosen Snob verstehen. Was er vielleicht auch war. Nur war er deshalb ein schlechter Architekt? An einem Sonntag Vormittag im Dezember stolperten wir unversehens in eines seiner letzten gebauten Manifeste – das Haus ohne Eigenschaften in Köln Müngersdorf. Dieses schließt die Reihe der drei eigenen Häuser, die Ungers für sich und seine Familie gebaut hat, ab. Der heutige Eigentümer des Hauses selbst – der Kölner Kunst- und Büchersammler Dr. Speck – ließ uns hinein. Er nutzt das Haus für seine Proust- und Petrarca-Bibliothek. Und ja, was soll man sagen, so oft man die Grundrisse und Bilder des Hauses schon studiert hatte, das räumliche Erleben dieses räumlichen Konstruktes ist beeindruckend. Das Spiel aus Einfachheit und Komplexität ist eigentlich von gelassener Heiterkeit. So sehr Ungers bis ins letzte Detail alles bestimmte und entwarf, so sehr lebt das Haus doch von der Präzision der primären räumlichen Grundverfasstheit. Man hätte ihm das vermutlich nie sagen dürfen – aber es erscheint relativ sekundär welche Türklinken die Türen am Ende haben.

Aber was schreibt Ungers selbst über das Bauen für sich selbst: „Eigentlich habe ich immer nur für mich selbst gebaut. Es fällt mir schwer, etwas anderes als Architektur zu denken, deshalb ist das eigene Bauen kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit. Alle Gedanken kreisen immer nur um Raum, Körper, Proportion, Maß und Zahl. Das Haus ist Lebensraum, Laboratorium, Weltvorstellung und Testfall zugleich.“ (Das ist wie wir sehen naturgemäß nicht so weit entfernt von Richard Seewalds euphorischen Äußerungen zum Klassischen)

Und Ungers weiter: „Das Haus ist die Summe der Erkenntnisse und Erfahrungen. Die Erfahrung der Tatsachen ist durch nichts zu ersetzen. Man muss sie anerkennen und damit leben. Die Wirklichkeit am Zeichenbrett und am Modell ist nicht die gleiche wie die Wirklichkeit der Materialien
und Volumen. Ein Haus ist kein Gebrauchsgegenstand, man kann es auch nicht benutzen. Es ist ein Stück Lebenswelt, ein kleines Universum, in dem man sein Leben verbringt.“

Am Ende gelangen wir wohl wieder direkt zur großen Frage – die in vielen Ohren unzeitgemäßer vermutlich nicht klingen kann – nach der Autonomie architektonischer Fragestellungen in Analogie etwa zu künstlerischen Fragestellungen. Aber was sagte dereinst Adolf Loos in seinem wunderbaren Aufsatz „Unseren jungen Architekten“: Sie sollen sich ein Beispiel an den Musikern und Malern nehmen und mit ähnlich künstlerischem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis an die Arbeit gehen. Die Legitimation der Architektur ist also nicht in moralischen Primär- oder Sekundärtugenden zu suchen – sie ist ihr von vorneherein bereits gegeben – sofern man das Interesse hat, Architektur zu machen.

Aber davon beim nächsten Mal mehr … Fortsetzung folgt …

Zitat Ungers: aus O.M. Ungers, „Wie wohnen – heute?“, Stuttgart 2002

Foto: O.M.Ungers, Haus ohne Eigenschaften, Köln Müngersdorf, 1996, Zustand vor der ersten Sanierung

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