Habe ich euch beim letzten Mal von meiner wohligen Routine bei MVRDV geschildert, so kann ich euch nun vom absoluten Gegenteil berichten: Dem Wettbewerb.

Der Wettbewerb ist die Königsdisziplin des Architekten und nichts schmeichelt seinem überdurchschnittlich entwickelten Ego mehr, als im immer währenden Kampf um Ruhm und Ehre als strahlender Sieger vom Platz zu gehen. Für diese Auszeichnung ist der Architekt beinahe zu allem bereit. Betrachtet man die bloße Anzahl an gewonnen Wettbewerben bei MVRDV, gelangt man zwangsläufig zu einer völligen Fehleinschätzung der Mitarbeiterzahl des Unternehmens. Wenn man einmal bei einem Wettbewerb dabei gewesen ist, versteht man schnell, warum. Jeder einzelne Mitarbeiter kann im Falle eines Wettbewerbs für drei arbeiten. Da werden aus rund 90 Architekten schnell mal 270!

Die Faszination Wettbewerb ist für Außenstehende schwer zu begreifen. Wenn ich im Kreis der Familie verlauten lasse, dass ich die letzten 30 Stunden durchgearbeitet habe, wird meine Glaubwürdigkeit doch leicht in Frage gestellt. Wenn ich dann aber noch behaupte, ich hätte Spaß dabei gehabt, werde ich ohne wenn und aber für verrückt erklärt. Erzähle ich die gleiche Geschichte meinen Studienkollegen, ist niemand überrascht, ganz im Gegenteil: Die sehnsüchtigen Blicke meiner Freunde sagen mir, dass ich scheinbar ganz und gar nicht verrückt bin, zumindest nicht unter meines Gleichen.

Bei meinem letzten Wettbewerb handelte es sich um den Entwurf eines großen Schulkomplexes, bei dem die Aufgabe darin bestand, das Konzept Schule völlig neu zu erfinden. Wir arbeiteten in einem Team von zwei Architekten, drei Praktikanten und dem Projektleiter. Dabei hatte jeder seinen eigenen Verantwortungsbereich, ich habe beispielsweise das 3D-Modell für den Modellbauer und das Renderteam gebaut. Da der Schulkomplex so groß war und auch öffentliche Funktionen übernehmen sollte, haben wir vor allem im städtebaulichen Maßstab geplant. Wie die meisten MVRDV-Projekte und natürlich ganz besonders, weil es sich um einen Bildungsbau handelte, war unser Entwurf quietschbunt und ein wenig verrückt. So bunt, dass mir spontan keiner meiner ehemaligen Professoren einfallen würde, der mir das in einer Prüfung hätte durchgehen lassen. Aber welcher Professor hätte bei einem Studenten wie Frank O’Gehry oder einer Zaha Hadid laut „Hurra“ gerufen?

Während des Wettbewerbs findet eine vollständige Prioritätenverschiebung statt. Wo früher Schlafen, Essen, Kinder zeugen den Lebensrhythmus des Menschen bestimmt haben, besteht das Leben im Wettbewerb aus Grundrissen, Diagrammen und Renderings. Für einen so kurzen Zeitraum wie den zwei Wochen, in denen wir zusammen am Projekt gearbeitet haben, sind wir als Team doch erstaunlich eng zusammen gewachsen. Der Entwurfsprozess ist so intensiv, dass man ihn nur mit dem richtigen Rückhalt schadlos übersteht. Im Gegensatz zu den Gruppenarbeiten, die ich aus dem universitären Leben kenne, müssen im Büroalltag wirklich alle an einen Strang ziehen, weil der Druck um ein vielfaches höher ist. Außerdem sind die Grundvoraussetzungen für jeden bei MVRDV die gleichen, nämlich, dass man sich der Architektur rückhaltlos verschreibt. Die gleichen Ansprüche ließen sich im universitären Leben wohl nur schwerlich durchsetzen und würden hier wohl eher schaden als nützen. Immerhin lernt man erst durch Konzertbesuche, wie Konzerthallen aussehen müssen und durch ausgiebiges Shoppen, wie Einkaufszentren am allerbesten funktionieren.

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