Aufnahme im Lager: das fast vier Meter hohe Modell der Europäischen Zentralbank

Abschalten. Und über etwas schreiben, das nicht direkt mit den Büroerlebnissen zu tun hat – irgendwie gar nicht so einfach! Bei einer Tasse Kaffee reicht dann doch manchmal ein einfacher Blick aus dem Fenster. Ein Vogelschwarm. Mit zusammengekniffenen Augen verfolge ich die Vögel, die über dem Wiener Augarten fliegen und dann hinter einem gewaltigen Betonturm verschwinden. Still und irgendwie bedrohlich steht er da. Ein gutes Thema für einen kleinen Exkurs, denke ich, war dieser Turm doch immer wieder Teil einer Diskussion über den Umgang mit Geschichte, ein spannendes Thema als (angehender) Architekt!

Blick auf Augarten mit Flakturm

 

Die Ruine ist eine von sechs Flugabwehrstellungen, die im Zweiten Weltkrieg zur Abwehr von Flugzeugen, zum Schutz der Bevölkerung, errichtet wurden und seitdem das Wiener Stadtbild an markanten innerstädtischen Punkten prägen. Seit Ende des Krieges wurde diskutiert, wie man mit den Türmen verfahren sollte, bis hin zu Überlegungen, sie zu sprengen und gänzlich aus dem städtischen Erscheinungsbild verschwinden zu lassen.

Einerseits sind sie „Steinerne Zeitzeugen der Geschichte“, die Erinnerungswert besitzen und deshalb bestehen bleiben sollten. Vom Regime waren Denkmäler geplant, Kritiker der Umbauten oder Nutzungsideen für die Türme sehen sie als städtebauliche „Wunden“, die an die Katastrophen des Krieges, den Untergang des nationalsozialistischen Regimes erinnern sollen. Und somit, ohne jeglichen Eingriff, ihrem Verfall überlassen werden sollten. Andererseits kommt immer wieder die Frage auf, wie man die alten Strukturen durch Neuprogrammierung nutzen könne: Die Idee, die Türme im Augarten als Datenspeicher zu nutzen, scheiterten, ebenso die Pläne einer Sprengung oder Abtragung, wegen den enormen Kosten, aber natürlich auch aufgrund der oben skizzierten Kritik. Ein Flakturm im Wiener Arenbergpark beherbergt unter anderem ein Depot des Museums für Angewandte Kunst und fungiert zudem als begehbares Kunstprojekt. (mehr Information: Contemporary Art Tower, kurz CAT)

Der Turm im Esterhazypark, inmitten des Sechsten Bezirkes, war Grundlage zahlreicher architektonischer Interventionen. So befindet sich im Inneren ein Aquarium, die Fassade wird als Kletterwand genutzt und seit letztem Jahr gibt es sogar eine Bar auf dem Dach, die Besuchern einen wahrhaft großartigen Blick auf die Umgebung der Inneren Wiener Bezirke ermöglicht. Ein Vorteil, den auch COOP Himmelb(l)au nutzen wollte, um Reisenden ein einmaliges Erlebnis zu schenken. Ein auf dem Dach des Turmes geplantes Hotel, das „Hotel Flakturm“, scheiterte trotz Vorlage der erforderlichen Baubewilligungen, an der Ablehnung von Seiten der Stadtregierung.

Esterhazypark-Turm

 

Der zuletzt skizzierte Weg der (Um-)nutzung und dem gleichzeitigen „Behalten“ der bestehenden Substanz, scheint mir ein guter Weg zu sein, die Vergangenheit zu wahren – indem man Sie als Fundament nutzt. Auf diesem Grundgedanken aufbauend, kann man so durch Addition neuer Funktionen für den Besucher bestimmte Eindrücke erst erlebbar machen. Diese Haltung mag mutig sein, soll aber geschichtlich relevante Ereignisse keineswegs verharmlosen, im Gegenteil, sie soll die Diskussion „ankurbeln“ und Teil einer zukunftsorientierten Denkweise werden.

Das Thema Erinnerung beschäftigte mich auch am Montag Morgen im Büro, während meiner Recherche zum Hotel Flakturm in der internen Datenbank von COOP Himmelb(l)au. Ich war erstaunt über die Fülle an Projekten, die während der 46 -jährigen Existenz des Wiener Büros entstanden sind.

Aus Neugier, was wohl mit all den Ideen und ungebauten Projekten geschehen sei, die doch alle zumindest ideellen Wert besitzen, fragte ich nach und fand heraus, dass eine gewaltige Sammlung alter Konzept- und Abgabemodelle existiert, die in einem Lager in Wien, gut sortiert, auf den Einsatz in Ausstellungen weltweit, oder auch als Erinnerungssammlung und „Ideenkatalog“, bestehen bleiben. Ein paar Tage später wurde mir ermöglicht, einen Tag mitzufahren und einzutauchen in diese Welt aus „gebauten Visionen“ und „gefrorenen Gedanken“: Inmitten einer Halle, in dem hunderte Projekte und Ideen zeitlos konserviert  werden, realisiere ich plötzlich, wie wichtig es ist, das ein oder andere Mal innezuhalten, sich zu erinnern und vor allem nichts, was man einst für einen guten Einfall gehalten hat, zu verwerfen. Gute Ideen sind unendlich wertvoll, man muss sie behüten wie Schätze, wer weiß, vielleicht kann man sie ja irgendwann doch einmal wieder brauchen.

Aufnahme im Lager: das fast vier Meter hohe Modell der Europäischen Zentralbank

 

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