10.04.2014

Gewerbe

Was ist kapitalistische Architektur?

Als Weltmetropole der Marktwirtschaft gilt immer noch New York. Dort wird im Januar das neue World Trade Center eröffnet. Was sagt das SOM-Gebäude über den Zustand des Kapitalismus heute aus? Ein dialogischer Essay, auf Basis eines Expertengesprächs mit dem Autor und Architekten Friedrich von Borries

Noch ist er gar nicht fertig, da wurde dem Neubau an der Stelle der eingestürzten Twin Towers schon etwas zuteil, was man eigentlich als seltene Ehre interpretieren könnte: Der SOM-Bau hielt als Namensgeber für einen Roman her. Allerdings ist das Buch „1WTC“ von Friedrich von Borries alles andere als eine Lobeshymne. In seinem dystopischen Roman erzählt der Architekt und Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hamburger Hochschule für bildende Künste von einem Gebäude, das noch während dem Bau seine Unschuld verliert: Der Geheimdienst nutzt es als Verhörzentrale und foltert im Untergeschoss Terrorverdächtige. Offensichtlich sieht von Borries in dem Bau, der ehemals Freedom Tower heißen sollte und nun schlicht 1WTC heißt, etwas Paradigmatisches für den Zustand der amerikanischen, und das heißt immer auch, der kapitalistischen Gesellschaft. Grund genug für ein Gespräch über den Kapitalismus im Bauen. Wie also steht Friedrich von Borries zum neuen World Trade Center? Hier seine Antwort:

„Natürlich verrät dieser Bau viel über die amerikanische Gesellschaft. Zu Beginn der Planung, als noch mehr von den Ursprungsideen Daniel Libeskinds realisiert werden sollte, stand ja der Ansatz im Zentrum, in das Gebäude Gärten zu integrieren. Diese sollten die unterschiedlichen Weltregionen repräsentieren – eine Idee, die je nach Lesart für die Multikulturalität der amerikanischen Gesellschaft stehen kann oder für den globalen Machtanspruch Washingtons. In jedem Fall wurde die Planung leider zurückgenommen. An Symbolik blieb nur die Höhe: 1776 Fuß, bekanntlich eine Anspielung auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776. Für mich ist dies vor allem ein klarer Anspruch amerikanischer Macht: ‚Es geht um Freiheit – aber wir sagen, was Freiheit bedeutet.’“

Man muss von Borries’ Fundamentalkritik der amerikanischen Politik nicht teilen – und der Autor dieser Zeilen tut das mit Sicherheit nicht. Aber der Blick auf die Art, wie sich gesellschaftlicher Zeitgeist im Bauen spiegelt, ist konsequent und wird heute längst nicht immer praktiziert. Von Borries liefert eine originelle politische Architekturkritik.

Ein Wahrzeichen waren die beiden Vorläufertürme ohne Zweifel. In ihnen sahen wir die moderne Bürowelt der 1950er bis 1970er Jahre gespiegelt, die der Soziologe William H. Whyte mit seinem legendären Buch über den „Organizational Man“ schon im Jahr 1956 auf den Punkt gebracht hatte. Der Mensch, der sich komplett eingliedert in die starken Routinen einer ökonomischen Organisation. Ihm hatte der Architekt der Twin Towers, Minoru Yamasaki, 1971 ein Denkmal gebaut.

Die Logik der Twin Towers wird für von Borries derweil anderswo fortgeführt: Im chinesischen Shenzhen. Dort stellte Rem Koolhaas kürzlich seinen Neubau für die Börse fertig. 250 Meter hoch, ein hochgradig intellektuelles Gebäude, das den kompletten Börsensaal gewissermaßen in die Höhe hebt, bis über Stockwerk 10 hinaus. Ein architektonisches Statement, das direkt auf die Transformationen im globalen Kapitalismus reagiert. Schließlich hat der Börsensaal, mit seinen herumschreienden Brokern und hysterischer Geschäftigkeit, mittlerweile ausgedient. Der Trader aus den 80er Jahren wird heute von autonom agierenden Computern ersetzt. In dieser Lage macht es Sinn, den Börsensaal aus der physischen Welt zu entrücken – weil er schon zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung einen realwirtschaftlichen Anachronismus darstellt.

„Die Börse in Shenzhen ist als rein chinesisches Statement nicht zu erfassen. Sie stellt einen Bezug zu den Twin Towers von Yamasaki dar. Sein World Trade Center hatte auch eine architektonische Verbreiterung, allerdings in Form einer Mall im Untergeschoss. Koolhaas scheint diesen Sockel schlicht anheben zu wollen. Er hat gewissermaßen das alte World Trade Center selbst auf einen Sockel gehoben.“

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