18.09.2014

Produkt

Gut essen und bauen: Ein Buch über den Mythos Tantris

Gerade komme ich von einer Buchvorstellung. Von der Vorstellung eines Buches, an dem ich selber mitgewirkt habe, genauer gesagt. Von daher verbietet das journalistische Ethos eigentlich, darüber zu schreiben. Lassen sie es mich dennoch tun. Denn das Objekt des Buches ist ein Stück deutscher Kulturgeschichte. Und um die muss man sich doch kümmern, so sehr man kann.

Das Buch also. Es heißt, sehr einfach: Tantris. Und darum geht es: Um den gleichnamigen Münchner Gourmettempel. Und damit um ein Stück Architektur, das die Vergangenheit in all ihren Widersprüchen so lebendig werden lässt, dass man sich nach einem schlemmenden Abend geradezu zeitlos fühlt, der Gegenwart entrückt und mit den Träumen des Früher konfrontiert. Man wird räumlich Teil von Zukunftsvisionen der frühen 70er Jahre. Einige von denen sind eingetroffen, andere Vision geblieben. Doch genau durch diesen pur virtuellen Charakter entfalten die Raumerzählungen des Tantris noch heute einen ungemeinen, wenn auch melancholisch unterfütterten Sog.

Gebaut hatte das Restaurant 1971 im damals zwischen Bohème und Biedermeier changierenden Schwabing der Architekt Justus Dahinden, in ganz enger Partnerschaft mit dem Bauherren Fritz Eichbauer. Der wollte, so die Legende, eigentlich nur selber öfter gut essen. Und baute sich daher einen Ort, an dem er das konnte – der aber vor allem das gute und weltgewandte Leben offensiv und farblich eindringlich feierte. Die Kulinarhistorie ist vielleicht bekannt: Mit dem Kochgrößen Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Hans Haas  schrieb das Restaurant Küchengeschichte.

Für den baulich interessierten Zeitgenossen bleibt aber vor allem auch dieser Bau im visuellen Gedächtnis. Diese Provokation in rot, die Farbe kombiniert mit viel dunklem Blech und hellem Beton. Dazu das Motiv der echsenartigen „Fabeltiere“ des Künstlers Bruno Weber. Und ein Raumprogramm, das so selbstbewusst Dogmen demonstrativer Nutzerfreundlichkeit und allzu leichter Lesbarkeit verweigert, dass klar wird: Man muss sich auf dieses Spiel von Raum und Kulinarik einlassen. Der Gast ist hier König, aber nicht Bestimmer. Aber er wird, und das ist viel mehr, ernst genommen.

König, nicht Bestimmer – so könnte eine Definition guter Architektur auch heute ausfallen. Mir wird heute allzu vorschnell das Dienende des Architekten betont. Die Welt entwickelt nach dieser Lesart eine selber schwer werdende Leichtigkeit, eine tückische Glätte. Eine Kritik des Begriffes der Glätte hatte der Philosoph Byung-Chul Han gerade im Interview mit der Zeit geliefert. Er hat recht. Wenn alles leicht und luftig ist, wird alles auch irrelevant.

Das Tantris ist nicht luftig. Im Gegenteil: Die Träger auf der Terrasse sind so tief montiert, dass größere Zeitgenossen sich besser schnell hinsetzen. Die (gerne abgeschrägten) Decken aus rotem Teppich verbreiten fast eine höhlenartige Atmosphäre. Das Tantris ist die Idee der Wohnlandschaft, aufs Souveränste in den öffentlichen Raum transferiert.

Ein weiteres Indiz für gute Architektur ist aus meiner Sicht übrigens, dass sie sich selbst erneuert. Ja, Qualitätsbauen schafft eine überzeitliche Relevanz. Doch sie legen es nicht auf Stagnation an. Gute Gebäude sind überzeitlich, weil sie immer wieder neue Ankerpunkte für eine sich verändernde Realität bieten. Weil sie immer wieder neu entdeckt werden können. Und das gilt für das Tantris allemal.

Eine solche Neuentdeckung erfuhr es übrigens auch im Zuge der Bucherstellung: Ein ganz bleibender Eindruck für jeden, der das Restaurant betritt, sind die Schriftfetzen über dem Küchentrakt: „Hunger…Liebeshunger…lukullisch…barbarisch…“ und so weiter. Der Clou: Die Texte sind in einer sehr eigentümlichen Typographie geschrieben, deren Herkunft heute niemand mehr genau bestimmen kann. Dies kam beim Buchmachen heraus. Die Gestalter um Tom und Stephanie Ising (Herburg Weiland) haben kurzerhand die Typo quasi „rekonstruiert“ und dann für das Buch verwendet. So leistet nicht nur das Tantris, sondern in kleinerem Maßstab auch das Buch selbst seinen Beitrag zur Kulturgeschichte.

Bilder von oben: 1) das Cover, 2) Visualisierung, 3) historische Aufnahme, 4) drei Generationen der Familie Eichbauer

 

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