07.04.2015

Portrait

Dietmar Feichtinger

DIETMAR FEICHTINGER

Der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger arbeitet in Paris und Wien. Er lässt sich nicht gern als Brückenbauer be­zeichnen, obwohl Brücken einen beträchtlichen und beeindruckenden Teil seines Werks darstellen. Ein Gespräch über den Symbolgehalt der Bau­werke und den neuen Steg zum Klosterberg Mont St. Michel in der Normandie.

Baumeister: Ich weiß, dass Sie nicht als Brücken-Architekt gelten wollen. Aber kommt nicht der Symbolik der Brücke als verbindendem Element eine großartige Bedeutung zu?
Dietmar Feichtinger: Das kann man, wenn man will, so sehen. Aber beim Zugangsbauwerk zum Mont St. Michel zum Beispiel finde ich den Ausdruck „verbindendes Element“ unangebracht.

B: Wie würden Sie es bezeichnen?
D F: Auf Französisch habe ich immer versucht, das Bauwerk als „jetée“ zu bezeichnen, als Steg. Bei diesem Projekt wollten wir uns der Idee dieser Stege, die ins offene Meer hinaus führen, annähern. Eine Zugbrücke, die Zugang zu einem Schloss schafft – genau diesen Effekt wollte ich vermeiden. Ich wollte keine direkte Verbindung zu dem Klosterberg herstellen, sondern einen Weg schaffen, mich in diesen Weg einfügen. Wenn man zu Fuß durch das Watt zum Berg geht – das machen leider viel zu wenige – ist der Eindruck überwältigend. Es ist die Weite dieser Landschaft, der Gezeitenunterschied, der innerhalb kürzester Zeit alles verändern kann – das sind die Aspekte, die mich am meisten an diesem Ort fasziniert haben. Der Weg soll nicht etwas sein, das direkt zum Berg führt, er ist eher eine Annäherung. Wenn man sich die Kurve, die ich gezeichnet habe, genauer ansieht, erkennt man, dass sie den Berg quasi verfehlt, sie tangiert den Felsen nur.

B: Der Zugang als meditatives Erlebnis?
D F: Auf jeden Fall, das ist die Essenz. Ursprünglich war es ein Pilgerweg, ist es auch für viele heute noch. Wenn man sich dem Berg annähert, sich als Teil der Landschaft fühlen und dann loslassen kann, findet man wieder mehr Sinn und Kohärenz für den Besuch.

B: Der Steg zum Mont St. Michel ist in der Reihe Ihrer „Brückenbauwerke“ der sicherlich Reduzierteste, der Einfachste. Ist er auch bescheiden?
D F: Ich würde den Ausdruck Bescheidenheit nicht im Zusammenhang mit dem Bauwerk verwenden. Die offensichtliche Einfachheit, die eine extreme Komplexität beinhaltet, kann ich gelten lassen.

B: Warum?
D F: Weil das Watt, der Meeresboden bis 30 Meter Tiefe extrem schlecht trägt. Der Teil, der auf Piloten steht, ist 800 Meter lang. Das Bauwerk, das wir geplant haben, muss 38 Tonnen schwere Lastwägen aushalten – der Steg ist ja gleichzeitig eine öffentliche Straße. Machbarkeitsstudien fingen mit Spannweiten von 40 Metern an, gingen bis 80 Meter. Bei dem Projekt ging es sowohl um die Transparenz, wie auch darum, dass das Wasser so frei wie möglich durchfließen sollte. Ich schlug einen Steg mit Piloten alle zwölf Meter vor. Das war aus der Sicht der Ingenieure nicht der logische, einfache Weg. Man muss ja daran denken, dass bei Flut rechtzeitig immer alle Bohrgeräte in Sicherheit gebracht werden müssen. Ich wollte jedoch die strukturelle Präsenz eines Brückenbauwerks vermeiden. Es gibt bei diesem Steg auch keine Diagonalen, Auskreuzungen, Fachwerkträger und all das, was man so von Brücken kennt. Ein Brückendeck, das über zwölf Meter trägt, hat schließlich auch eine ganz andere Dimensionierung als ein Deck, das über 40 oder 80 Meter trägt. Die Stützen sind in Betonpfeiler, die eben 30 Meter tief gegründet sind, eingespannt. Die Stahlstützen selbst haben einen Durchmesser von 25 Zentimetern und eine Wandstärke von 40 bis 60 Millimetern. Sie sind auch am Brückendeck eingespannt, um ebenfalls Horizontallasten aufnehmen zu können. Das ist natürlich ein konstruktiver Aufwand, man muss an Bremseffekte der Fahrzeuge denken – somit ist die „Einfachheit“ ein hoher technischer Aufwand. Wir haben auch keine Neopren-Auflager, die man austauschen muss, das Bauwerk ist äußerst robust. Längsausdehnungen werden durch die Elastizität des Stegs aufgenommen, indem die Pfeiler ein bisschen nachgeben können. Der Belag und die Oberflächengestaltung sind in dem Bereich, der auf dem festen Boden steht, und dem Bereich auf Piloten derselbe. Man merkt gar nicht, wenn man wechselt.

B: Durch die Schlankheit der Konstruktion kommen Sie wieder näher an den Begriff der Transparenz, an die Poetik der Stege, die ins Meer hinausführen.
D F: Genau! Ich wollte die Unendlichkeit des Orts nicht stören, deshalb hat der Bau keine messbaren Abschnitte, sondern ist so kleinteilig, dass er als Ganzes wirkt und dadurch ein größtmögliches Verschwinden gewährt.

Mehr dazu im Baumeister 4/2015

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