Die Sonne hat gnädig geschienen und Wien zu einer hellen und heißen Stadt gemacht im Juli und August. Und sogar am Anfang dieses Monats. Das orange, welke Laub liegt auf dem feuchten Asphalt. Ehe man es sich es versieht, ist es plötzlich Herbst an der Donau.

Im Büro Delugan Meissl ist jetzt wieder Wettbewerbszeit: Die Abgaben stehen ins Haus und alle Mitarbeiter sind aus dem Urlaub zurück. Das Pensum ließe sich sonst auch nur mit Mühe bewältigen, vermute ich. Auch wir Praktikanten kommen zum Einsatz und helfen mit. Nach dem ich mich länger mit Produkten, Oberflächen und Materialien beschäftigt habe, komme ich dazu, Visualisierungen anzufertigen und zu modellieren. Ich lerne sehr viel, täglich etwas Neues. Gefallen habe ich am lebendigen (büro-internen) Diskurs, etwa bei einem Vortrag zu den Möglichkeiten (und Grenzen) parametrischer Werkzeuge. Mittlerweile habe ich einen immer größeren Einblick in das Oeuvre und kann das Einzelne in Bezug setzen.

Die Projekte in Asien und die Biennale-Ausstellung in Venedig sind etwa kaum miteinander vergleichbar. Die Fähigkeit sowohl Wohnbau – zum Beispiel am Schweizergarten in Wien – und Kulturbauten wie das EYE Filminstitut gleichermaßen zu konzipieren, ist inspirierend. Dieser Spagat fasziniert mich immer mehr, je tiefer ich Einblick in den praktischen Alltag bekomme. Die aus dem Studium nahezu gänzlich unbekannte Freizeit am Wochenende nutze ich, um Ausflüge zu unternehmen. Ich habe mir zum ersten Mal den viel publizierten Muster-Siedlungsbau in Aspern angesehen (Seestadt ist etwas optimistisch, weder von See noch von Stadt kann momentan die Rede sein). Es ist ein bunter Architekturzoo im 22. Bezirk, der auf den geneigten Betrachter wartet. Mal mehr, mal weniger schön, aber fast durchgängig etwas ausgefallener. Ungewohnte Geometrien und Typologien sind munter nebeneinander gestellt, die Baufelder wie ein Bruchstein-Muster. Es wird fleißig gebaut, ein Gesamturteil ist kaum zu bilden. Es scheint Leben in der Siedlung zu sein. An einem warmen Samstag wird gebadet, gegrillt, gesonnt und gelebt. Man kann nicht sagen, dass hier triste, graue Monotonie herrscht. Ich glaube schon, dass der relativ ambitionierte Ansatz einigermaßen Früchte trägt.

Der Geist der Suburbia lässt sich allerdings nicht leugnen. Die hohe Kleinkind-Dichte, der Spaß in der Familie, der Mangel an sozialer Konfrontation, unregulierter Inbesitznahme, Zweckentfremdung, tatsächlicher Stadtessenz und Chaos ist etwas fad und steril. Dem zu begegnen, wird freilich ein Mix angestrebt, nicht nur sozialer Schichten, sondern auch funktionell. Ob die vorgestellte Heterogenität eintreten wird, steht auf einem anderen Blatt. Architektonisch haben mich einige Projekte fasziniert. Gefallen haben mir ansprechende Oberflächen und viel versprechende Kompositionen. Positive Eindrücke hinterlassen die Gebäude, die auf die fragwürdigen Wärmedämmverbundsysteme verzichten und neue (und nachhaltigere) Wege gehen. Und diejenigen, die tatsächlich neue Lösungen für das Zusammenleben anbieten, die ein kohäsives Konzept besitzen. Rückblickend fehlen aber die Stringenz im Arrangement und vor allem eine konstante Qualität. Obwohl durchaus interessante Zwischenräume konsolidieren möchten, fügen sich die einzelnen Teile nicht recht zu einem Gesamtbild. Ein zweiter Besuch, später im Abend, an einem grauen Herbsttag und ich erlebe die Seestadt noch einmal anders: Die Siedlung liegt wie ausgestorben da. Kaum einer Menschenseele begegnet man, die U-Bahn ist nahezu leer. Die durchgängige Nutzung und Aktivierung des öffentlichen Raumes stößt an ihre Grenzen, wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr eitler Sonnenschein sind. Denn Orte wie ein gemütliches Kaffeehaus oder einen kommunikativen Würstelstand – die meiner Erfahrung nach erstaunlich viel zur Lebensqualität in Wien beitragen – sucht man vergebens. Es wäre ungerecht, zu diesem Zeitpunkt ein Urteil zu bilden, aber es ist spürbar, das die Seestadt noch stark wachsen muss, um den geplanten Charakter zu erreichen.

Interessant ist diese Großbaustelle allemal, jeder möge sich seine eigene Meinung bilden. Ich für meinen Teil bin etwas ernüchtert in die Stadt zurückgefahren. Im Zentrum kann ich hin und wieder etwas freie Zeit gut verwerten. Theater, Museen, Konzerte und passives Absorbieren von Kultur beim Nichtstun im allseits beliebten Museumsquartier: an Zerstreuung und Erbauung mangelt es nicht. Unter anderem die Ausstellung Béton in der Kunsthalle war ein schönes Erlebnis. Keine monotone Reproduktion von Gebäuden, sondern ein Nebeneinander verschiedener Medien, Zeiten und Methoden. Eine künstlerische Analyse des Materials, das wohl die Bühne formt, auf der sich die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts abgespielt hat. Eine kontextuelle, breite Schau, die versucht, den Rohstoff einer sozialen Ära abzutasten. Dieser frische Blick hat mir gut gefallen. Viel Neues wird es jetzt auch in der kalten Jahreszeit für mich zu sehen geben, wenn sich die Stadt wandelt, wenn umgezogen wird, von der Terrasse in die gute Stube. Wenn es schnell dunkel wird, grau und regnerisch. Für die Arbeit im Büro ist das ja nicht schlecht. Es blendet nicht und man hat nicht das Gefühl, dass man draußen den Sommer verpasst. Gute Vorrausetzungen also für einen spannenden und produktiven Herbst.

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